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Grüne werfen Bundesregierung jahrelange Untätigkeit vor

Was gegen Hassbotschaften und Falschmeldungen in Sozialen Netzwerken zu tun ist

Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Netzpolitik der grünen Bundestagsfraktion Quelle: Foto: von-notz.de Dr. Konstantin von Notz MdB Bündnis 90/Die Grünen für Schleswig-Holstein 15.12.2016
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Statt tatsächlich etwas zu unternehmen, wirft die Bundesregierung "in aufgeregtem Ton ganz unterschiedliche Phänomene wie „Fake News“, den Umgang mit „Hate Speech“ oder „Social Bots“ munter in einen Topf", beklagt der Grüne Netzpolitiker Dr. Konstantin von Notz. Dabei sei die Lage inzwischen wirklich bedrohlich.







Falschmeldungen und Hassbotschaften – seit geraumer Zeit wird die Kultur in sozialen Netzwerken beklagt, teilweise wird sogar eine Gefahr für die Demokratie befürchtet. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Die aktuelle Debatte um Diskursverschiebungen im und durch das Netz wirft zweifellos ebenso wichtige wie nicht leicht zu beantwortende Fragen auf. Fragen, der sich auch die Bundesregierung endlich in angemessener Art und Weise zuwenden muss. Das tut sie bis heute nicht. Das versucht die Bundesregierung dadurch zu kaschieren, dass sie, wie so oft, wenn es ums Netz geht, in aufgeregtem Ton ganz unterschiedliche Phänomene wie „Fake News“, den Umgang mit „Hate Speech“ oder „Social Bots“ munter in einen Topf wirft, gleichzeitig aber keinerlei Lösungsansätze hat. Statt alarmistischer Drohszenarien und umso größerem Aktionismus brauchen wir einen kritischen, aber differenzierten Blick auf diese Entwicklungen. Denn ob nun auf der Straße oder im Netz: Rechtspopulistische Hetze bis hin zu gewalttätigen Übergriffen grassieren – und hängen durchaus miteinander zusammen. Ebenso sind technologische Manipulationsmöglichkeiten im Digitalen sehr ernstzunehmend. Beides sind jedoch komplexe Probleme, für die es jeweils spezifische Antworten braucht. Darauf haben wir die Bundesregierung immer wieder hingewiesen. Hier verschieben sich Diskurse und es gibt eine reale Bedrohung für unsere demokratische Willensbildung – just in politisch so entscheidenden Zeiten. Hier stehen Politik wie Plattformbetreiber und Zivilgesellschaft in der Verantwortung.

Mehrfach hat die Politik sich mit Verantwortlichen etwa von Facebook getroffen, nun plädieren verschiedene Politiker für strengere Vorschriften. Welchen Regelungsbedarf sehen Sie?
Dass klar strafbare Meinungsäußerungen im Internet (“Hate Speech“) eine solch dramatische, für demokratische Diskurse mittlerweile tatsächlich bedrohliche Dimension annehmen konnte, ist auch das Resultat einer Bundesregierung, die es über Jahre verpasst hat, große US-Unternehmen, die sich nicht an Recht und Gesetz gebunden fühlen, an klare rechtlichen Vorgaben zu erinnern. Nach Monaten der Untätigkeit und einer sich weiter zuspitzenden Problematik habe ich die Bundesregierung bereits vor einem Jahr aufgefordert, die Augen nicht länger davor zu schließen. Geschehen ist auch hier nichts Substanzielles. Das ist nicht hinnehmbar. Hass und Hetze sind keine Bagatelle. Das Strafgesetzbuch setzt hier klare Grenzen. Genauso sind die rechtlichen Vorgaben dazu eindeutig wie Unternehmen die Überprüfung und ggf. Löschung von Inhalten im Zuge des sogenannten „notice and takedown“-Verfahrens vorzunehmen haben. Statt die Unternehmen endlich mit Nachdruck an diese klare rechtlichen Vorgaben und ihre gesellschaftliche Verpflichtung zu erinnern, ergingen sich die Aktivitäten der Bundesregierung bislang im Schreiben öffentlicher Briefe und dem Setzen einer folgenlosen Frist nach der anderen. Justizminister Maas macht hier seinem Ruf eines wahren Meister meist folgenloser Ankündigungen alle Ehre. Erst nach einem massiven öffentlichen Druck richtete er eine „Task Force“ ein, deren Ergebnisse jedoch kaum das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Sie bleiben teilweise sogar hinter der geltenden Gesetzeslage zurück. Mittlerweile haben auch der Bundesrat und Vertreter der Großen Koalition von dieser Untätigkeit genug und fordern Konsequenzen. Während der Bundesrat, gemeinsam mit der Opposition im Bundestag, immer wieder konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Situation macht, gibt es jedoch auch immer wieder höchst populistische Vorschläge aus Reihen der Koalition, zum Beispiel die Forderung nach einem „Vermummungsverbot“ im Internet – eine Forderung, die an der Problematik vorbei geht und den Grundrechtsschutz der Nutzerinnen und Nutzer weiter gefährden würde.

Die Äußerungen sind zum Teil heute schon strafbar. Was steht aus Ihrer Sicht einer Verfolgung solcher Äußerungen entgegen? Und wie sollten etwaige Hemmnisse beseitigt werden?
Die Große Koalition warnt, wenn es um Vorratsdatenspeicherung und Co. geht, sonst immer nur allzu gerne vor „rechtsfreien Räumen“, die im Netz entstünden. Hier aber schaut man seit Jahren tatenlos zu, wie milliardenschwere Unternehmen, die sich nicht an Gesetze gebunden fühlen, ihr eigenes Recht setzen. Mit Hinweis auf die eigene Multinationalität und Verweis darauf, dass man sich nicht an nationale Gesetze, nicht einmal unsere Verfassung, halten könne, ignoriert man die klaren Vorgaben des Strafgesetzbuches und ersetzt geltendes deutsches und EU-Recht einfach durch selbsternannte „Gemeinschaftsstandards“. Dieses Vorgehen beobachten wir seit Jahren im Bereich des Datenschutzes und nun eben auch bei der Bekämpfung strafbarer Meinungsäußerungen. Wenn man als Politik ein solches Verhalten toleriert und den Unternehmen über Jahre suggeriert, sie müssten keinerlei Regulierung fürchten, tun sich die Probleme auf, die wir nun erleben. Wir brauchen einen ganzen Strauß von Maßnahmen, die wir immer wieder angemahnt haben: Diese reichen von verbesserten Meldewege, über eine Überprüfung entlang der jeweiligen nationalen Rechtslage durch juristisch geschultes Personal im Anbieterland bis zu einer besseren Benachrichtigung von Betroffenen, so dass diese sich an die Staatsanwaltschaften wenden können. Hier gibt es ebenfalls noch viel zu tun: Unsere Strafverfolgungsbehörden und die Justiz müssen wir fit machen für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters. Nur so können wir gewährleisten, dass diejenigen, die Hass und Hetze verbreiten, hierfür auch zur Rechenschaft gezogen werden.

Wie lässt sich verhindern, dass Hassbotschaften an anderen Stellen im Internet publiziert werden, wenn strengere Regeln für Facebook und Co. gelten?
Sicherlich muss immer mit Verdrängungseffekten in geschlossene Gruppen und alternative Foren gerechnet werden. Diese Argumentation darf aber nicht als Feigenblatt für die eigene Untätigkeit missbraucht werden. Wer von vornherein den Kopf vor den zweifellos großen Herausforderungen, vor die uns Internet und Digitalisierung als Gesellschaft stellen, steckt, der sollte keine Politik machen. Wer es den Unternehmen allein überlässt, Standards zu setzen, der hat nicht verstanden, wie wichtig eine aktive, auch regulatorische Begleitung des digitalen Wandels unserer Gesellschaft ist.

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