Der für eine Demokratie zwingend erforderliche Meinungs-Pluralismus in den nationalen Leitmedien geht immer mehr verloren. So wie die etablierten Parteien zunehmend als „Einheitspartei“ wahrgenommen werden, so mangelt es den Öffentlich-Rechtlichen an kritischer Differenzierung. Die Folgen sind das Aufblühen von Widerstand in einer neuen Partei (AfD), außerparlamentarischen Protestbewegungen und einem nahezu unbegrenzten Wuchern von Informationen und Meinungen in den digitalen Medien und sozialen Netzwerken. Politisch und medial wächst eine Spaltung der Gesellschaft: auf der einen Seite ein politisch-medialer Komplex, dessen Hauptanliegen offenbar darin liegt, bestehende Macht- und Einflussverhältnisse zu bewahren und auf der anderen Seite vielfältiger, noch wenig strukturierter Protest, der aus Beunruhigung, Enttäuschung, Ängsten, Sorgen und Wut gespeist wird. Die konflikthafte Spaltung verschärft die gesellschaftliche Krise und dient vor allem der gemeinsamen Leugnung der bedrohlichen Erkenntnis vom Ende unserer westlichen narzisstisch-egoistischen Wirtschafts- und Lebensform. Mit der Krise der Gesellschaft werden demokratische Grundregeln immer weiter aufgegeben: Die politisch-mediale Macht dominiert die Diskussion mit Leugnung, Schönfärberei und Bagatellisierung realer Bedrohung, unterstützt durch mediale Halbwahrheiten, Weglassen von Informationen und tendenzieller Berichterstattung, wobei jede kritische Position moralisierend abgewertet und diffamiert wird. „Political correctness“ ist zur Selbstzensur der Eliten und zum Kampfmittel gegen Oppositionelle pervertiert. Der Protest-Populismus reagiert vor allem auf den Macht-Populismus (z.B. „Dunkel-Deutschland“, „Wir schaffen das!“, „alternativlos“, „Deutschland wird Deutschland bleiben“, „der Islam gehört zu Deutschland“), der von den öffentlich-rechtlichen Medien kaum noch kritisch diskutiert wird. Aber alle Kritik wird fast automatisch als „populistisch“, „rechtsextrem“, „fremdenfeindlich“, „islamfeindlich“ abqualifiziert. Und die Protestler entehren ihr Anliegen mitunter durch Hetze und Hass, durch Primitivformeln und Pöbelei und leider auch durch strafbare Delikte. So reizen und provozieren sich die Gegner wechselseitig und verhindern gemeinsam den breiten Diskurs über die Krise der Gesellschaft und die künftige Entwicklung. Wenn wir begreifen und akzeptieren, dass unsere bisherige Wirtschafts- und Lebensform eine kritische Grenze erreicht hat, die im Klimawandel, der Umweltzerstörung, dem Artensterben, der Vergiftung von Luft, Wasser, Boden, den Kriegen um Ressourcen und Absatzmärkte, der Ausbeutung mit unfairem Handel und sozialer Ungerechtigkeit mit der wachsenden Spaltung in Arm und Reich und der damit verbundenen Migration zum destruktiven Ausdruck kommt, sind wir gefordert:
- die eigene individuelle Entfremdung unseres falschen Lebens zu realisieren,
- von den politischen, medialen, ökonomischen und intellektuellen Eliten eine Gesellschaftskritik unter Missachtung „politischer Korrektheit“ mit visionären sozialen Zukunftsmodellen zu verlangen,
- keine Politiker zu wählen, die ein „Weiter so!“ vertreten und Protest diffamieren,
- von den Medien eine größere inhaltliche Differenzierung zu verlangen, damit die Wiederherstellung einer Meinungs-Pluralität,
- jede Form der Kritik und des Protestes zu ehren durch Verstehen-Wollen, den möglichen Realitätsgehalt zu analysieren und den Disput zu fördern, statt Ausgrenzung und Diffamierung.
Wir Psychotherapeuten sind gefordert, die pathogene Psychodynamik der Macht, der Arroganz, der Gier und Sucht zu erhellen; das Mitläufertum, das unbedingte Dazu-Gehören-Wollen als Fehlverhalten zu problematisieren; die Abwehrmechanismen der Leugnung, Bagatellisierung, Spaltung und Projektion verständlich zu machen und die psychosozialen Ursachen für Hass und Hetze aufzudecken.