Die Spielzeit 2016/17 steht kurz vor dem Start. Welche musikalischen Highlights in der kommenden Saison wollen Sie besonders hervorheben?
Oh, das ist schwer. Wir freuen uns natürlich besonders auf die Konzerte mit Kirill Petrenko, unserem ersten gemeinsamen Auftritt seit seiner Wahl zu unserem nächsten Chefdirigenten. Dann haben wir mit John Adams einen der faszinierendsten Komponisten unserer Zeit als Composer in Residence verpflichtet, und mit Simon Rattle machen wir mehrere konzertante Opern, unter anderem Tosca – ein Werk, das wir zuletzt unter Karajan gespielt haben.
Welche Ideen und Projekte gibt es an Ihrem Haus für das Konzerthaus der Zukunft?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir uns um die Auslastung unserer Konzerte momentan keine Sorgen machen müssen. Wir testen neue Formate wie in unserer Serie von Late-Night-Konzerten, aber bis auf Weiteres steht das traditionelle Symphoniekonzert im Zentrum unserer Arbeit. Das wird auch vom Publikum so gewollt. Gleichzeitig müssen wir uns natürlich Gedanken über die Zukunft der klassischen Musik machen. In der Philharmonie sind wir mit unserem von Simon Rattle ins Leben gerufenen Education-Programm sehr aktiv. Und wir arbeiten daran, den Berliner Philharmonikern und der klassischen Musik insgesamt in der Online-Welt eine Stimme zu geben – indem wir unserer Konzerte im Internet streamen und über unsere Social-Media-Kanäle Konzertclips und Neuigkeiten aus der Welt der Berliner Philharmoniker international verbreiten. Das wird unglaublich gut aufgenommen. Auf Facebook begrüßen wir demnächst unseren millionsten "Like".
Welche digitalen Dienste bieten Sie derzeit schon an, was planen Sie gegebenenfalls?
Natürlich bieten wir in der Philharmonie all das an, was heute Standard ist, manchmal auch ein bisschen mehr. Vom Kartenverkauf über Mobiltelefone bis zum virtuellen Rundgang durch die Philharmonie. Wodurch wir uns von anderen abheben, ist aber vor allem unsere Medienproduktion und der Aufbau einer weltweiten Online-Community über digitale Kommunikation. Im Zentrum steht unsere Digital Concert Hall, wo wir seit 2008 unsere Konzerte live in HD übertragen. Unser Video-Archiv enthält inzwischen über 400 Konzerte, die bis in die 60er-Jahre zurückreichen. Inzwischen gibt es die Digital Concert Hall für die unterschiedlichsten Plattformen: als App für Smart TV, für Streaminggeräte wie Apple TV und Fire TV und für verschiedene Mobilgeräte. In diesem Umfeld haben sich dann weitere Angebote entwickelt, unsere Kino-Liveübertragungen per Satellit oder unser eigenes Label Berliner Philharmoniker Recordings. Aber da Sie nach unseren weiteren Plänen fragen: Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Innovative Technologien mit neuen qualitativen Möglichkeiten kommen auf uns zu wie der neue Videostandard 4K2K. Und man muss immer schauen, wie sich die Bedürfnisse des Publikums verändern und über welche neuen Kanäle man ein neues Publikum für die klassische Musik gewinnen kann.
Es gibt noch viele weitere Klassik-Aktivitäten im Internet. Online-Plattformen wie Idagio, Klassik.TV oder niusic wollen die Klassikberichterstattung revolutionieren und neue Medien und Klassik zusammenzubringen. Braucht die Klassik neue junge Darstellungsformen?
Ja, die braucht sie sicherlich. Es war früher ganz selbstverständlich, dass man als junger Mensch irgendwann mit dem Phänomen des klassischen Konzerts in Berührung gekommen ist und herausfinden konnte: Spricht mich das an? Das kann man heute nicht mehr voraussetzen. Als Orchester sind wir daher aufgefordert, vor allem der nachwachsenden Generation auf halbem Wege entgegen zu kommen und Angebote zu machen, die ihrem Freizeitverhalten entspricht. Ohne dass man sich allerdings verbiegt und anbiedert. Nur der authentische Künstler ist glaubwürdig.
Wie bewerten Sie grundsätzlich die Zukunft der Klassik?
Es hat ja einen Grund, dass wir uns bis heute mit dieser Musik beschäftigen. Weil hier Dinge zum Ausdruck kommen, die den Menschen im Innersten ausmachen und bewegen. Das ist zeitlos und wird auch in der Zukunft von unersetzlichem Wert sein. Aber dieser Wert muss vermittelt werden. Ohne Education-Arbeit von künstlerischen Institutionen und natürlich im Musikunterricht und in Musikschulen ist das nicht zu leisten. Dazu kommt eine sozusagen atmosphärische Herausforderung, denn für viele ist klassische Musik immer noch eine reichlich respekteinflößende Angelegenheit. Wir müssen deutlich machen, dass die Konzerthäuser allen offenstehen und dass sie nicht für eine verschworene Gemeinschaft von Experten reserviert sind.