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Dem Rechtsstaat droht Gefahr

Warum die Politik nicht der Wirtschaft die Macht im Netz überlassen sollte

Volker Tripp, Advocacy Manager Digitale Gesellschaft e.V. Quelle: privat Volker Tripp Advocacy Manager Digitale Gesellschaft e.V. 29.03.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"In der gegenwärtigen Fassung ist der Entwurf zum NetzDG kaum praktikabel." Das sagt Volker Tripp, von der Digitalen Gesellschaft. "Da der Entwurf zudem keinen Richtervorbehalt enthält, wird die komplette Prüflast den Plattformbetreibern aufgebürdet. Damit werden genuin staatliche Aufgaben auf Wirtschaftsunternehmen ausgelagert und die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung vorangetrieben." Dies stelle für einen freiheitlich konzipierten Rechtsstaat eine äußerst gefährliche Entwicklung dar.







Nach dem Entwurf des NetzDG sollen Plattformbetreiber binnen eines Tages „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte entfernen. Was halten Sie von dem Plan?
In der gegenwärtigen Fassung ist der Entwurf kaum praktikabel. So wird darin zwar abschließend definiert, was unter "rechtswidrigen Inhalten"zu verstehen ist. Unklar bleibt hingegen, wann die Rechtswidrigkeit "offensichtlich" sein soll.
Zu bejahen wäre dies vermutlich etwa im Fall einer Holocaust-Leugnung. Deutlich schwieriger zu beurteilen wären aber schon Kollektivbeleidigungen wie "FCK CPS", "ACAB" oder "Soldaten sind Mörder", bei denen es für die Strafbarkeit entscheidend auf den Kontext und die Begleitumstände der Äußerungen ankommt. Gleiches gilt beispielsweise auch für Böhmermanns Erdogan-Gedicht, bei dessen Einordnung unbedingt die Kunstfreiheit zu berücksichtigen ist. Es ist also vollkommen offen, in welchen Fällen Inhalte überhaupt innerhalb von 24 Stunden zu entfernen sind.
Da der Entwurf zudem keinen Richtervorbehalt enthält, wird die komplette Prüflast den Plattformbetreibern aufgebürdet. Damit werden genuin staatliche Aufgaben auf Wirtschaftsunternehmen ausgelagert und die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung vorangetrieben. Dass dies für einen freiheitlich konzipierten Rechtsstaat eine äußerst gefährliche Entwicklung darstellt, liegt auf der Hand. Im Ergebnis bedeutet dies nämlich, dass Wirtschaftsunternehmen das letzte Wort darüber haben sollen, was im Netz gesagt werden darf und was nicht.

Kritiker befürchten, dass durch das Gesetz Inhalte im Zweifel lieber gelöscht werden – und so die Meinungsfreiheit bedroht wird. Was sagen Sie dazu?
Die Befürchtung ist vollauf gerechtfertigt. Unternehmen, die der Verpflichtung zum Sperren oder Löschen der Inhalte nicht nachkommen, drohen Geldbußen bis zu 50 Millionen Euro. Um die Verhängung von Bußgeldern zu vermeiden, werden sich die Unternehmen im Zweifel stets für die Löschung und damit zugleich gegen die Meinungsfreiheit entscheiden.
Weiter verschärft wird diese Problematik durch die äußerst kurzen Fristen zur Entfernung von Inhalten, was eine wohlüberlegte Entscheidung in vielen Fällen deutlich erschweren dürfte. Auch das bereits erwähnte Fehlen eines Richtervorbehalts wird zu einer forschen Löschpraxis der Unternehmen beitragen. In der Regel werden die dortigen Sachbearbeiter nämlich keine ausgebildeten Juristen sein und die Frage der Strafbarkeit bestimmter Inhalte deshalb gerade in Grenzfällen kaum in der gebotenen Differenziertheit beurteilen können.
Hinzu kommt, dass die Nutzerinnen und Nutzer keinen Anspruch auf Veröffentlichung ihrer Postings haben und fehlerhafte Löschungen keine Sanktionen für die Plattformbetreiber nach sich ziehen.

Gesperrte Inhalte sollen zu Beweiszwecken gespeichert werden. Wie bewerten Sie das?
Grundsätzlich ist es natürlich nicht falsch, Beweise zu sichern, um eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen. Die betreffende Vorschrift des Entwurfs lässt jedoch jegliche Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit vermissen und dürfte obendrein europarechtswidrig sein.
Der Entwurf schreibt weder vor, wie lange die gesicherten Daten aufzubewahren sind, noch macht er irgendwelche Vorgaben zur Art und Weise der Speicherung und zum Schutz vor dem Zugriff unbefugter Personen. Er verlangt lediglich, dass die Daten im Inland zu speichern sind, was gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit verstoßen dürfte.

Das Gesetz soll nicht nur für die klassischen Sozialen Netzwerke gelten, sondern stets, wenn beliebige Inhalte mit anderen Nutzern ausgetauscht, geteilt oder öffentlich zugänglich gemacht werden. Wie können solche Regeln z. B. in Messengerdiensten wie WhatsApp durchgesetzt werden?
Die Definition des "sozialen Netzwerks" ist eine der größten Schwachstellen des Entwurfs. Sie ist derart weit und uferlos, dass neben klassischen sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Youtube auch One-Click-Hoster, Messenger-Dienste, VoIP, Video-Chats und sogar E-Mail darunter subsumiert werden können. Dies dürfte den eigentlich beabsichtigten Regulierungsrahmen deutlich überschreiten.
Umgekehrt wäre es auch denkbar, dass sich Online-Dienste durch nur minimale Änderungen ihrer AGB selbst aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausnehmen. Würde beispielsweise WhatsApp seinen Nutzerinnen und Nutzern in Deutschland verbieten, Katzenbilder zu teilen, wären die Inhalte nicht mehr "beliebig" im Sinne des Entwurfs. WhatsApp wäre dann gemäß der Legaldefinition kein soziales Netzwerk mehr.
Problematisch ist auch die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Dienste mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern im Inland.Ausschlaggebend für die Zuordnung als deutscher Nutzer soll die IP-Adresse zum Zeitpunkt der Registrierung sein. Das bedeutet zum einen, dass Nutzer von VPN-Tunneln oder Anonymisierungswerkzeugen wie TOR nicht berücksichtigt werden. Des Weiteren bedeutet es, dass sogar Registrierungen von Social Bots mit einer deutschen IP als echte Nutzer gewertet werden. Es wäre also ein Leichtes, konkurrierende Dienste durch den Einsatz von Bots in den Anwendungsbereich des Gesetzes zu bringen.
Insgesamt ist der Entwurf derart lückenhaft und schlecht durchdacht, dass er meines Erachtens weder bei klassischen sozialen Medien noch bei Messengerdiensten sinnvoll und effektiv angewendet und durchgesetzt werden kann.

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