Viele Radiostationen entdecken die Dialekte und die Mundart ihrer Region wieder. Sind das nur Einzelfälle oder erkennen Sie darin einen Trend?
Zunächst ist zu fragen, ob der Dialekt tatsächlich erst wiederentdeckt werden muss. Da die gesprochene Sprache regional variiert, ist im Radio mit regionaler Färbung auch in standardnaher Sprache zu rechnen. Dialekt ist nicht ganz einfach zu definieren: Es gibt die tiefen Dialekte, die sich von Ort zu Ort unterscheiden, aber dialektale Merkmale finden sich auch in regional oder standardnah und somit überregional geprägten Umgangssprachen. Dass im Radio im tiefen Dialekt gesprochen wird, ist nach wie vor selten - er ist zumeist Programmen vorbehalten, die sich entweder mit dem Dialekt selbst beschäftigen oder ihn als Kontextualisierungsmittel nutzen, etwa zur Darstellung ländlicher Bereiche im Gegensatz zu (weniger dialektal assoziierten) städtischen oder zur Erzeugung von Komik. Ob es einen Trend in Richtung häufigerer Nutzung des Dialekts gibt, wage ich nicht zu einzuschätzen, jedoch ist beim oft regional organisierten Radio auch mit der Nutzung und Thematisierung des regionalen Dialekts zu rechnen.
Lange wurden Dialekte und Mundart im Radio vor allem als Stereotype für Comedy genutzt, heute werden auch Nachrichten und Moderationen mit lokaler Sprachfärbung präsentiert. Warum werden Dialekt sprechende Figuren heute ernst genommen?
Dialekte wurden auch früher nicht nur für Comedy genutzt - selbst wenn sie sich offenbar zur Herstellung komischer Kontexte eignen und hier immer noch häufig eingesetzt werden. Zur Moderation wird auch heute zumeist standardnahe Sprache genutzt. Je nach Region und Radiosender gibt es aber Sprecherinnen und Sprecher, die dialektale Merkmale verwenden (zumeist bei standardnah-umgangssprachlicher Sprechlage). In bayerischen Sendern (etwa Bayern 1) zum Beispiel lässt sich das so interpretieren, dass durch dialektale Merkmale eine angenehme, dem familiär-freundschaftlichen Umfeld ähnliche Atmosphäre erzeugt werden soll. In der Sprachwissenschaft spricht man von "Nähesprache" - sprachlichen Mitteln, die wir besonders im familiären und freundschaftlichen Umfeld nutzen im Gegensatz zur "Distanzsprache", die in formellen Kontexten verwendet wird. Dialekt wird in Deutschland häufig mit nähesprachlichen, Standardsprache mit formellen Kontexten assoziiert, so dass sich dialektale Merkmale im Radio zur Herstellung eines angenehmen Kontextes verwenden lassen. Der Nachrichtenkontext hingegen wird als formell empfunden und wird daher kaum dialektale Merkmale aufweisen - selbst in der Schweiz, in der die Dialekte eine deutlich stärkere Stellung haben als in Deutschland, werden die Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Programmen standardsprachlich vorgetragen.
Einzelne Dialekte und Mundarten sind für Auswärtige kaum zu verstehen. Wie stark darf Dialekt/Mundart gesprochen werden?
Da ist jeder Mensch frei. In einigen Kontexten wird es jedoch schwierig sein, mit dialektaler Sprache Kommunikationsziele zu erreichen: Die dialektale Vielfalt ist im Deutschen sehr groß und umspannt ein Kontinuum von niederdeutschen Dialekten in Norddeutschland bis zum Bairischen und Alemannischen ganz im Süden. In Deutschland sind viele Personen, vor allem in den Städten, zudem nicht sehr stark daran gewöhnt, unterschiedliche Dialekte zu hören. Sie haben daher wenig Übung im Entschlüsseln anderer Varietäten. Wie weit man sich in jeder Situation an die Gesprächspartner anpasst, liegt einerseits in den individuellen Fähigkeiten zur sprachlichen Anpassung (also im eigenen Repertoire) begründet, andererseits darin, wie gut das individuelle Verständnis für Gesprächssituationen und die zu erwartenden Dialektfähigkeiten des Gegenübers sind.
Im Zuge der Digitalisierung sind alle Programme weltweit über das Internet zu empfangen – andererseits werden die Inhalte immer vielfältiger. Wie sehen Sie die Zukunft von Dialekt und Mundart im Radio?
Dialekte werden als Kontextualisierungsmittel vermutlich auch in Zukunft eine Rolle spielen. Die Digitalisierung birgt die Chance, dass Dialekte auch weltweit mehr Gehör finden - dialektales schweizerisches Deutsch etwa lässt sich nun weltweit genauso im Radio belauschen wie das erst seit dem 19. Jahrhundert aus moselfränkischen Dialekten hervorgegangene Luxemburgische. Menschen, die ihre Region verlassen, können so z.B. auch ihren Dialekt "mitnehmen", indem sie einen Internetradiosender aus ihrer Herkunftsregion einschalten. Jedoch wird aufgrund der eingeschränkten Verstehbarkeit von Einzeldialekten vermutlich weiterhin die Standardsprache die tragende Rolle im Radio spielen.