Menue-Button
← FACHDEBATTE Interview

Der Dialekt als Freund im Radio

Sprachforscher erklärt wie Dialekte im Hörfunk Nähe erzeugen

Prof. Dr. Sebastian Kürschner, Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft, Fachsprecher Germanistik, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Quelle: Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Prof. Dr. Sebastian Kürschner Fachsprecher Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt 23.11.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
ZUR FACHDEBATTE

"Dialekt wird in Deutschland häufig mit nähesprachlichen, Standardsprache mit formellen Kontexten assoziiert, so dass sich dialektale Merkmale im Radio zur Herstellung eines angenehmen Kontextes verwenden lassen." Das sagt Prof. Dr. Sebastian Kürschner vom Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Jedoch werde vermutlich aufgrund der eingeschränkten Verstehbarkeit von Einzeldialekten weiterhin die Standardsprache die tragende Rolle im Radio spielen.







Viele Radiostationen entdecken die Dialekte und die Mundart ihrer Region wieder. Sind das nur Einzelfälle oder erkennen Sie darin einen Trend?
Zunächst ist zu fragen, ob der Dialekt tatsächlich erst wiederentdeckt werden muss. Da die gesprochene Sprache regional variiert, ist im Radio mit regionaler Färbung auch in standardnaher Sprache zu rechnen. Dialekt ist nicht ganz einfach zu definieren: Es gibt die tiefen Dialekte, die sich von Ort zu Ort unterscheiden, aber dialektale Merkmale finden sich auch in regional oder standardnah und somit überregional geprägten Umgangssprachen. Dass im Radio im tiefen Dialekt gesprochen wird, ist nach wie vor selten - er ist zumeist Programmen vorbehalten, die sich entweder mit dem Dialekt selbst beschäftigen oder ihn als Kontextualisierungsmittel nutzen, etwa zur Darstellung ländlicher Bereiche im Gegensatz zu (weniger dialektal assoziierten) städtischen oder zur Erzeugung von Komik. Ob es einen Trend in Richtung häufigerer Nutzung des Dialekts gibt, wage ich nicht zu einzuschätzen, jedoch ist beim oft regional organisierten Radio auch mit der Nutzung und Thematisierung des regionalen Dialekts zu rechnen.

Lange wurden Dialekte und Mundart im Radio vor allem als Stereotype für Comedy genutzt, heute werden auch Nachrichten und Moderationen mit lokaler Sprachfärbung präsentiert. Warum werden Dialekt sprechende Figuren heute ernst genommen?
Dialekte wurden auch früher nicht nur für Comedy genutzt - selbst wenn sie sich offenbar zur Herstellung komischer Kontexte eignen und hier immer noch häufig eingesetzt werden. Zur Moderation wird auch heute zumeist standardnahe Sprache genutzt. Je nach Region und Radiosender gibt es aber Sprecherinnen und Sprecher, die dialektale Merkmale verwenden (zumeist bei standardnah-umgangssprachlicher Sprechlage). In bayerischen Sendern (etwa Bayern 1) zum Beispiel lässt sich das so interpretieren, dass durch dialektale Merkmale eine angenehme, dem familiär-freundschaftlichen Umfeld ähnliche Atmosphäre erzeugt werden soll. In der Sprachwissenschaft spricht man von "Nähesprache" - sprachlichen Mitteln, die wir besonders im familiären und freundschaftlichen Umfeld nutzen im Gegensatz zur "Distanzsprache", die in formellen Kontexten verwendet wird. Dialekt wird in Deutschland häufig mit nähesprachlichen, Standardsprache mit formellen Kontexten assoziiert, so dass sich dialektale Merkmale im Radio zur Herstellung eines angenehmen Kontextes verwenden lassen. Der Nachrichtenkontext hingegen wird als formell empfunden und wird daher kaum dialektale Merkmale aufweisen - selbst in der Schweiz, in der die Dialekte eine deutlich stärkere Stellung haben als in Deutschland, werden die Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Programmen standardsprachlich vorgetragen.

Einzelne Dialekte und Mundarten sind für Auswärtige kaum zu verstehen. Wie stark darf Dialekt/Mundart gesprochen werden?
Da ist jeder Mensch frei. In einigen Kontexten wird es jedoch schwierig sein, mit dialektaler Sprache Kommunikationsziele zu erreichen: Die dialektale Vielfalt ist im Deutschen sehr groß und umspannt ein Kontinuum von niederdeutschen Dialekten in Norddeutschland bis zum Bairischen und Alemannischen ganz im Süden. In Deutschland sind viele Personen, vor allem in den Städten, zudem nicht sehr stark daran gewöhnt, unterschiedliche Dialekte zu hören. Sie haben daher wenig Übung im Entschlüsseln anderer Varietäten. Wie weit man sich in jeder Situation an die Gesprächspartner anpasst, liegt einerseits in den individuellen Fähigkeiten zur sprachlichen Anpassung (also im eigenen Repertoire) begründet, andererseits darin, wie gut das individuelle Verständnis für Gesprächssituationen und die zu erwartenden Dialektfähigkeiten des Gegenübers sind.

Im Zuge der Digitalisierung sind alle Programme weltweit über das Internet zu empfangen – andererseits werden die Inhalte immer vielfältiger. Wie sehen Sie die Zukunft von Dialekt und Mundart im Radio?
Dialekte werden als Kontextualisierungsmittel vermutlich auch in Zukunft eine Rolle spielen. Die Digitalisierung birgt die Chance, dass Dialekte auch weltweit mehr Gehör finden - dialektales schweizerisches Deutsch etwa lässt sich nun weltweit genauso im Radio belauschen wie das erst seit dem 19. Jahrhundert aus moselfränkischen Dialekten hervorgegangene Luxemburgische. Menschen, die ihre Region verlassen, können so z.B. auch ihren Dialekt "mitnehmen", indem sie einen Internetradiosender aus ihrer Herkunftsregion einschalten. Jedoch wird aufgrund der eingeschränkten Verstehbarkeit von Einzeldialekten vermutlich weiterhin die Standardsprache die tragende Rolle im Radio spielen.

UNSER NEWSLETTER

Newsletter bestellen JETZT BESTELLEN

■■■ WEITERE BEITRÄGE DIESER FACHDEBATTE

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Stefan Frühbeis
Wellenchef
BR Heimat

Stefan Frühbeis, Wellenchef von BR Heimat
Radio | Mundart

Im Dialekt zum Erfolg

Wie BR Heimat zum erfolgreichsten ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Stefan Frühbeis
Wellenchef
BR Heimat

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Volker Thormählen
Direktor
NDR Landesfunkhauses Schleswig-Holstein

Volker Thormählen, Direktor des NDR Landesfunkhauses Schleswig-Holstein
Radio | Mundart

NDR mit neuen Formaten auf Niederdeutsch

Landesfunkhaus Schleswig-Holstein rüstet sich ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Volker Thormählen
Direktor
NDR Landesfunkhauses Schleswig-Holstein

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Berthold Brunsen
Programmleiter
Bremen Eins

Berthold Brunsen, Programmleiter von Bremen Eins
Radio | Mundart

"Kenn ich, verstehe ich, finde ich gut"

Warum bei Radio Bremen Plattdeutsch zur ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Berthold Brunsen
Programmleiter
Bremen Eins

ZUR FACHDEBATTE

ÜBER UNSERE FACHDEBATTEN

Meinungsbarometer.info ist die Plattform für Fachdebatten in der digitalen Welt. Unsere Fachdebatten vernetzen Meinungen, Wissen & Köpfe und richten sich an Entscheider auf allen Fach- und Führungsebenen. Unsere Fachdebatten vereinen die hellsten Köpfe, die sich in herausragender Weise mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

überparteilich, branchenübergreifend, interdisziplinär

Unsere Fachdebatten fördern Wissensaustausch, Meinungsbildung sowie Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Sie stehen für neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit unseren Fachdebatten wollen wir den respektvollen Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ermöglichen - faktenbasiert, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Ausklammerung kontroverser Meinungen.

kompetent, konstruktiv, reichweitenstark

Bei uns debattieren Spitzenpolitiker aus ganz Europa, Führungskräfte der Wirtschaft, namhafte Wissenschaftler, Top-Entscheider der Medienbranche, Vordenker aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie internationale und nationale Fachjournalisten. Wir haben bereits mehr als 600 Fachdebatten mit über 20 Millionen Teilnahmen online abgewickelt.

nachhaltig und budgetschonend

Mit unseren Fachdebatten setzen wir auf Nachhaltigkeit. Unsere Fachdebatten schonen nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das eigene Budget. Sie helfen, aufwendige Veranstaltungen und überflüssige Geschäftsreisen zu reduzieren – und trotzdem die angestrebten Kommunikationsziele zu erreichen.

mehr als nur ein Tweet

Unsere Fachdebatten sind mehr als nur ein flüchtiger Tweet, ein oberflächlicher Post oder ein eifriger Klick auf den Gefällt-mir-Button. Im Zeitalter von X (ehemals Twitter), Facebook & Co. und der zunehmenden Verkürzung, Verkümmerung und Verrohung von Sprache wollen wir ein Zeichen setzen für die Entwicklung einer neuen Debattenkultur im Internet. Wir wollen das gesamte Potential von Sprache nutzen, verständlich und respektvoll miteinander zu kommunizieren.