Meinungsbarometer: Herr Ministerpräsident, EU-Medienkommissarin Viviane Reding hat Deutschland im Meinungsbarometer Digitaler Rundfunk aufgefordert, sich bis Juli auf einen Standard für Handy-TV festzulegen. Andernfalls will sie diese Entscheidung treffen. Wie ernst ist diese Drohung aus Brüssel zu nehmen?
Kurt Beck: Ich bin nicht der Meinung, dass alles in Brüssel entschieden werden muss. Die Strukturen in den einzelnen Mitgliedsstaaten sind sehr unterschiedlich. Dies gilt für den Mediensektor, die Mediennutzung, aber auch im Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur. Es ist für mich durchaus nicht unmittelbar einsichtig, dass eine einheitliche europäische Strategie, z. B. zur Einführung von Handy-TV, besser ist. Sie kann auf die spezifischen Besonderheiten in den Mitgliedsstaaten keine Rücksicht nehmen. Ein individuell auf den Mitgliedsstaat angepasstes Einführungskonzept ist deshalb für mich vorzugswürdig. Dies schließt eine Koordinierung auf europäischer Ebene selbstverständlich nicht aus. Die Kommission sei mahnend an das Debakel erinnert, dass ihr Versuch einer europaweiten Einführung des hochauflösenden Fernsehens über die Normen HD-Mac und D2-Mac erlitten hat.
Frau Reding hat im gleichen Interview das Gebot der Technologieneutralität in Frage gestellt. Sehen Sie den Verzicht auf dieses Gebot auch in Deutschland umsetzbar?
Technologieneutralität ist ein schillernder Begriff. Aus medienpolitischer Sicht ist richtig, dass das Angebot entscheidend ist, das beim Kunden ankommt, nicht die Technik, über die es übertragen wird. Gleichwohl gibt es hinsichtlich der einzelnen Übertragungswege und -techniken unterschiedliche Rahmenbedingungen. Diese können auch zu unterschiedlichen Lösungen führen. Ich halte deshalb z. B. auch die Entscheidung der EU-Kommission im Beihilfeverfahren zur MABB und zur Förderung von DVB-T für falsch. Wenn Technologieneutralität dazu führen würde (wie im Fall MABB und DVBT-Förderung), dass andere Übertragungswege mitgefördert werden müssen, für die kein Bedürfnis nach Förderung besteht, dann ist dies ein falscher Weg. Dass ich nach dem Gießkannenprinzip Fördermittel an alle verteilen muss, und damit der Fördereffekt verpufft, zeugt von einem falschen Verständnis von Technologieneutralität. Insofern kann ich mir im Sinne von Frau Reding auch differenzierte Lösungen vorstellen. Ich warne nur davor, per Dekret einen bestimmten Standard am Markt vorbei vorschreiben zu wollen.
Welchen Weg sehen Sie für die Einführung von Handy-TV in Deutschland?
Die Landesmedienanstalten, begleitet von den Ländern, haben in Deutschland die beiden bestehenden Standards DMB (basierend auf DAB) und DVB-H (basierend auf DVB-T) auf den Weg gebracht. Es wird darauf ankommen, dass wirtschaftlich tragfähige Konzepte mit attraktiven Angeboten für den Nutzer entwickelt werden. Dies ist Sache der Marktbeteiligten. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen schaffen. Ein wichtiges Element bei diesen Rahmenbedingungen wird der 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag sein. Er wird Regelungen enthalten, die die bundesweite Zuweisung von Übertragungskapazitäten durch eine zentrale Stelle der Landesmedienanstalten (Arbeitstitel: Kommission für Aufsicht und Zulassung, ZAK) ermöglicht. Gleichzeitig werden wir eine maßvolle Regulierung für Plattformen vornehmen und aus meiner Sicht auch die Must-Carry-Regelungen weiter liberalisieren. Damit geben wir medienpolitisch diesen neuen Angeboten genügend Entwicklungsspielraum.
Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die Digitalisierung des Hörfunks wieder auf die politische Tagesordnung setzen?
Es ist nicht richtig, dass wir dem Hörfunk keine Aufmerksamkeit widmen. Für mich ist dies ein wichtiges Thema. Nicht nur das Fernsehen, sondern auch der Hörfunk muss seine Entwicklungsmöglichkeiten haben. Derzeit sind die Gespräche angelaufen, wie das Band III und DMB beziehungsweise fortentwickelter Hörfunk auf der Grundlage von DAB genutzt werden soll. Schließlich gilt es auch noch, ein Übergangsszenario für das UKW-Band (wenn auch in fernerer Zukunft) zu entwickeln. Diese Fragen werden die zuständigen Stellen der Länder (insbesondere die Landesmedienanstalten) aufgreifen. Sie werden auch im Rahmen des Forums Digitale Medien von Bund und Ländern erörtert werden.
Wie viel neuen Schwung kann ein Fonds für die Digitalisierung des Hörfunks in Deutschland bringen?
Ich halte offen gesagt wenig von solchen Digitalisierungsfonds. Bei 80 Mio. Einwohnern und 40 Mio. Haushalten sind immense Summen erforderlich, wenn man wirklich für einen Anschub spürbare Anreize für den Verbraucher bieten will. Zielgerichtete Förderungen über die Förderung der Verbreitungskosten der Programmveranstalter hat uns die Kommission mit ihren Beihilfeentscheidungen zunichte gemacht. Eine Förderung nach dem Gießkannenprinzip ist, wie oben bereits angesprochen, ein Irrweg. Mal ganz abgesehen davon, dass die immensen Summen weder vom Bund noch von den Ländern aufgebracht werden können.