Meinungsbarometer: Herr Pleitgen, Sie übernehmen das Amt des Präsidenten der European Broadcast Union in einer Zeit, in der Rundfunk weltweit im Umbruch ist. Wird es den traditionellen Rundfunk künftig noch geben?
Fritz Pleitgen: Das Radio in der Küche und den Fernseher im Wohnzimmer wird es mit Sicherheit noch lange geben. Aber es kommen neue Übertragungswege und Nutzungsformen wie Handy-TV, Pay-TV und Web-TV hinzu. Die neuen Angebote zielen überwiegend auf einen zeitsouveränen Medienkonsum. Allerdings werden klassische Wege wie terrestrische Frequenzen, Kabel und Satellit dadurch nicht überflüssig. Wir werden es in Zukunft mit einer immensen Angebotsvielfalt zu tun haben. Entscheidend sind jedoch die Inhalte, und hier ist der öffentlichrechtliche Rundfunk mit seinen umfassenden Angeboten in Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung auch in der digitalen Zukunft unverzichtbar.
Sehen Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für die bevorstehenden Aufgaben gut aufgestellt?
Die öffentlich-rechtlichen Sender stehen in vielen europäischen Ländern an der Spitze der technischen Entwicklung. Der WDR und die ARD-Partner haben den Ausbau des digitalen Antennenfernsehens DVB-T vorangetrieben. Wir sind im Internet mit programmbegleitenden Angeboten präsent und produzieren bereits viele Sendungen im hochauflösenden Standard (HDTV), dem Fernsehen der Zukunft, vor. Es muss sichergestellt sein, dass wir unsere Angebote auf allen neuartigen Übertragungswegen und Plattformen verbreiten können. Für den erfolgreichen Einstieg in eine neue Technologie ist jedoch der richtige Zeitpunkt entscheidend. Wer sich ein bisschen mehr Zeit lässt, kann teure Fehlentwicklungen vermeiden.
Müssen Private und Öffentlich-Rechtliche verstärkt Allianzen bilden, um die Position des Rundfunks gemeinsam zu verteidigen?
Wenn es aus medienpolitischen Gründen angebracht ist, an einem Strang zu ziehen, gern auch mit den Privaten. Das haben wir übrigens auch schon getan. Ich erinnere an die gemeinsame Erklärung von ARD und ZDF zusammen mit dem VPRT zu Entwicklung und Ausbau der Kabelnetze in Deutschland. Die Unterschiede sollten allerdings klar bleiben. Zum Beispiel sind die angekündigten Satellitengebühren der Privaten nicht gleichzusetzen mit den Rundfunkgebühren der Öffentlich-Rechtlichen. Unsere Gebühren sind die Basis und der Garant für ein frei zugängliches, von wirtschaftlichen und politischen Interessen unabhängiges Programmangebot. Die geplante Satellitengebühr der Privaten zielt dagegen allein auf Gewinnmaximierung ab, also auf Kasse machen.
Inwiefern werden Sie als Präsident der Europäischen Rundfunkunion die Digitalisierung von Radio und Fernsehen vorantreiben? Wo liegt Deutschland im internationalen Vergleich?
Die Digitalisierung des Rundfunks voranzubringen, ist mir ein besonderes Anliegen. Das werde ich weiterverfolgen. Als ARD-Vorsitzender habe ich gemeinsam mit Dr. Hans Hege von der Medienanstalt Berlin- Brandenburg den Grundstein für die Entwicklung von DVB-T in Deutschland gelegt. Der WDR und die übrigen ARD-Sender sind Motoren des DVB-T-Ausbaus. Deshalb liegt Deutschland bei der Versorgung mit digitalem Antennenfernsehen gut im Rennen. Auch beim digitalen Satellitenfernsehen (DVB-S) war in den vergangenen Jahren ein Boom zu erleben. Allerdings ist fraglich, ob diese Tendenz anhält. Die angekündigte Verschlüsselung der Privaten und die damit anfallenden Gebühren führen in den Digital-Haushalten zu unangenehmen Mehrkosten. Es ist die Frage, wer sich das leisten will. So könnte es zu einem Rückschlag für den digitalen Satellitenempfang kommen und der anvisierte Umschalttermin für 2010 wäre dann fraglich. Es gibt also noch eine Reihe offener Fragen in diesem Prozess.
Welche Impulse gehen von der Internationalen Funkausstellung für die Digitalisierung aus?
Hier wird es vor allem um die neuesten Entwicklungen in Sachen Handy-TV, DVB-T und Internet-TV gehen. Bei DVB-T, so sagen unsere Techniker, ist ein deutlicher Trend zur mobilen Nutzung außer Haus festzustellen. Damit sind kleine portable Empfangsgeräte gemeint, ebenso wie Zusatzmodule für Laptops und Taschencomputer. Mobiles Fernsehen auf Handys und Organizern wird sicher einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt werden. Auch das Internet-TV dürfte durch die IFA neuen Schub bekommen.