Radio beim Frühstücken, TV als wichtigstes Medium – die Mediennutzung von Kindern scheint nach der aktuellen KIM-Studie in der Tradition der Eltern zu stehen. Ist das Bild von einer heranwachsenden, digitalen Generation übertrieben?
Keineswegs. Die junge Generation wächst mit digitalen Endgeräten vor allem in ihren Familien und ihren Peer-Groups auf. Richtig ist, dass das TV nach wie vor eine dominierende Rolle spielt, wenn es um die Unterhaltung mit Kindersendungen und weiteren Jugendformaten geht. Und tatsächlich: hier leben die Kinder das TV-Leben der Eltern fort. Dort, wo Erziehende selbst mit hohem TV-Konsum groß geworden sind, wird dieses Verhalten auch bei den eigenen Kindern als selbstverständlich angesehen und meist unzureichend geregelt. Parallelen sind in der heutigen Smartphone-Nutzung zu erkennen. Wenn Eltern ihre Aufmerksamkeit immer mehr dem eigenen Smartphone statt den Kindern widmen, und die Aufmerksamkeit gegenüber dem Nachwuchs nachlässt und gar abhanden kommt, dann wird sich das Kind dieses Verhalten – ebenso wie in der TV-Generation – antrainieren.
Darüber hinaus fällt auf, dass die Digitalnutzung der 6- bis 13-Jährigen in dieser Studie deutlich geringer ausfällt, als es weitere Studien (JIM 2016, Sinus-Studie 2016, Uni Bonn 2014) aufzeigen. Erhöht man dann noch das Befragungsalter bis 18 Jahre, wiederholt sich der sprunghafte Anstieg der Digitalnutzung mit 10 Lebensjahren noch einmal im Alter von 15 Lebensjahren. Eltern legen also in den Grundschuljahren ihrer Kinder besonders durch das eigene Vorbild die Saat für übermäßigen Digitalkonsum.
Die beliebteste Internetseite bei Kindern ist die Videoplattform Youtube – wie können die beliebten kurzen Formate die Mediennutzung dauerhaft verändern?
Die Mediennutzung dient bereits heute und in Zukunft noch viel stärker der unmittelbaren Problemlösung. Nachdenken oder Denken im Allgemeinen wird schlicht ersetzt durch Youtube-Videos, die zu jedem nur erdenklichen Lebensbereich unzählige Beiträge leisten: Nutzer müssen also nicht mehr nachdenken, es reicht meist vollkommen, die Video- Gebrauchsanweisung nachzuahmen. So steht zu befürchten, dass die Problemlösungskompetenz perspektivisch stark abnehmen wird. Das wird zunehmend die Kreativität vieler Jugendlicher schmälern, denn fertige Youtube-Lösungen regen eben nicht zum Nach-Denken, sondern allenfalls zum Nach-Machen an. Bemerkbar macht sich eine solche Entwicklung spätestens dann, wenn Jugendliche den Weg des gesetzlichen Bildungsauftrags nach spätestens 13 Jahren verlassen und dann alleine vor ihren Lebens- und Arbeitsproblemen stehen.
Mindestens 38 % der befragten Kinder haben schon Games gespielt, für die sie nach der Empfehlung der USK zu jung sind. Oft haben sie diese Spiele von den Eltern bekommen. Was empfehlen Sie Eltern in Sachen Games und Mediennutzung der Kinder?
Die Lebens- und Bildungswelt bis zum 10./12. Lebensjahr fällt in die wichtige Phase der Gehirnentwicklung. Wer das Kindergehirn in dieser sensiblen Zeit Games und Online-Spielen aussetzt, darf sich über Fehlentwicklungen bis hin zur Online-Sucht nicht wundern. Der aktuelle KIM-Befund ist alarmierend. Deshalb plädiere ich bis zu einem Alter von etwa 12 Jahren für einen repressiven Umgang mit Games – im Besonderen auf der Konsole. Repressiv bedeutet in dieser Lebensphase, dass Games und Online-Spiele nicht ohne Beisein eines Elternteils konsumiert werden sollten. Dies gilt im Besonderen für das digitale Spiel bei Freunden. Eltern rate ich sogar, vom Kauf einer Spielekonsole für die eigene Wohnung abzusehen. Stattdessen sollten Kinder und Eltern diese Zeit möglichst gemeinsam und kreativ nutzen, etwa um sich in der Natur zu bewegen oder sportlichen Aktivitäten nachzugehen. Traurig genug: Auch der Hinweis auf das Erlernen alter Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben (mit der Hand) und Rechnen (mit dem Kopf) muss heute wieder an Bedeutung gewinnen. Wer schon dies nicht (mehr) beherrscht, wird auch in der Online-Welt nicht reüssieren.
53 % der Haupt- oder Realschüler und 56 % der Gymnasiasten haben schon einmal einen Computer in der Schule benutzt. Wie bewerten Sie diese Zahlen?
Der Einsatz von Computern in den Schulen sollte altersgerecht erfolgen. Gerade Kinder in der Kita und der Grundschule bis zum Alter von 10 oder 11 Jahren besitzen nicht die kognitiven Fähigkeiten, die einen sinnvollen Umgang mit Technologien und Medieninhalten ermöglichen. Leider stellen Computer und Internet ja kein Wissen zur Verfügung, sondern nur Informationen. Und diese Informationen können erst zu verwertbarem Wissen werden, wenn Elternhaus und Schule dafür ein geistiges Fundament gelegt haben.
Übrigens ist die Anlage eines solchen Fundaments bei Kindern unentbehrlich, um sich auf eine wachsende digitale Welt optimal vorzubereiten. Denn erst wer richtig und schnell Kopfrechnen kann, wird später Freude an höherer Mathematik und Informatik finden und so vielleicht zu einem Gestalter der digitalen Welt werden.