Theater stehen für eine gewachsene Traditionspflege. Inwieweit wirkt sich die digitale Transformation unserer Gesellschaft auf Ihre Spielpläne und inhaltlichen Formate aus?
Die Frage wäre, was Tradition überhaupt ist. Wenn wir unter Tradition eine Ansammlung von Theaterstücken verstehen (ein bisschen Antike, ein bisschen Shakespeare, ein bisschen Klassik, ein bisschen 20. Jahrhundert), dann ist uns das entschieden zu wenig. Es gibt nämlich auch eine Tradition der Methode: Die maßgeblichen Künstlerinnen und Künstler haben schon immer die Leidenschaft geteilt, inmitten des künstlerischen Erbes den Bezug zur Gegenwart herzustellen: Das hat mit Wut zu tun, Neugier, Wissensdurst und immer wieder auch mit der Freude an der Zerstörung, damit etwas Neues entstehen kann. Keine der Künstlerinnen und Künstler, auch die, die heute musealisiert werden, waren damit beschäftigt das Erbe zu balsamieren, sondern sie sind dagegen angerannt wie gegen Granitblöcke. In anderen Worten: Es gibt auch die Tradition, die Tradition infrage zu stellen. In diesem Paradox finden wir uns wieder. Die Digitalisierung ändert alles, warum also nicht auch die Spielpläne und die Ästhetik? Wenn wir zum Beispiel über Macht, Globalisierung oder soziale Ausgrenzung im 21. Jahrhundert sprechen wollen, ist das heute auch immer eine technologische Frage: Wie funktionieren Kommunikation, Selbstoptimierung, Organisation oder Arbeit in der digitalisierten Welt?
Unsere Erfahrung ist, dass sich diese Fragen oft nicht mehr entlang von älteren Dramaturgien adressieren lassen. Das heißt aber nicht, dass wir die Geschichte des Theaters über Bord werfen, sondern wir drehen sie durch den Fleischwolf der Gegenwart. Manchmal ist es im Theateralltag aber schwierig, neue Technologien zu erlernen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu verstehen, weil es viel Zeit erfordert. Deshalb gründen wir gerade die Dortmunder „Akademie für Digitalität und Theater“, wo Fachleute mit uns an neuen Technologien forschen werden und wo vor allem Fortbildungen für die technischen Berufe am Theater stattfinden sollen.
Welche digitale Ton-, Video und Bühnentechnik setzen Sie in Ihrem Haus ein – und wofür?
Neben den Standards wie Ton- und Lichtpult setzen wir Video- und Tonsoftware ein, zum Beispiel Ableton, Resolume und Millumin. Darüber hinaus arbeiten wir mit (visuellen) Programmiersprachen wie MaxMSP, Java C+ und Processing. Ein spannendes Feld ist die Arbeit in VR-Umgebungen, wo wir als Hardware die HTC Vive nutzen und auf der Softwareebene Cinema 4d und der Unity Engine. Der nächste Schritt wäre die Arbeit mit der Unreal Engine und Augmented Reality. Für unsere Bildästhetik haben wir Kameras mit großem Sensor wie z.B. die Sony FS700 mit Wechseloptiken und Gimbals. Für das Live-Colourgrading nutzen wir 3D LUTs.
Welche digitalen Werbemittel, -medien oder -träger setzen Sie ein?
Über Facebook, Twitter, WhatsApp, Instagram und unseren Blog kommunizieren wir Vorstellungen, Events, Trailer, Hintergrundinformationen, Essays und Trivia und stellen Menschen vor: auf und hinter der Bühne. Wir teilen Kritiken und Interviews, produzieren Mini-Serien und kleine Foto- oder Videoformate, mitunter haben wir Vorstellungen gestreamt. Wir schalten auch Onlinewerbungen.
Häufig werden Bundles aus Reisen, Übernachtungen und Kulturevents angeboten. Gibt es solche vernetzten Angebote auch bei Ihnen?
Solche Angebote haben wir nicht, und sie sind auch nicht in Planung.
Abschließend gefragt: wieviel Digitalisierung braucht und verträgt der Theaterbetrieb?
Alles was digitalisiert werden kann, wird früher oder später digitalisiert werden. Diese Erfahrung hat die klassische Musikindustrie gemacht, die Druckindustrie, die schriftliche Kommunikation und viele Branchen mehr. Im Theater laufen die Prozesse langsamer, weil zum Glück durch öffentliche Förderung der Druck des freien Marktes etwas abgemildert wird. Wir haben den Luxus, zwischendurch auch nicht ökonomisch rational denken zu dürfen. Aber: Wir müssen uns jetzt trotzdem selbst ermächtigen und den technologischen Wandel emanzipiert und selbstbewusst durchdenken und ihn in Absprache mit den Abteilungen durchführen. Das finden wir viel sinnvoller, als über das Silicon Valley und Großkonzern zu lamentieren und die Fahne des letzten analogen Ortes zu schwingen. Dann werden wir Fahne schwingend untergehen. Alte Arbeitsteilungen müssen infrage gestellt werden dürfen. Sonst werden wir irgendwann überholt, und dann stehen wir wehrlos vor Fragen, die mit Sicherheit kommen werden: Wozu muss noch ein Mensch am Lichtpult sitzen und auf Knöpfe drücken, wenn eine Software mit Spracherkennung das nicht genauso gut könnte? Wofür braucht man Inspizienten, wenn die Synchronisation von Licht und Ton von einer Software nicht viel zuverlässiger und schneller durchgeführt werden kann? Müssen Maskenbildner nicht auch mit 3D-Druckern umgehen können? Deshalb ist die Frage falsch gestellt. Es müsste heißen: Was droht uns, wenn wir die Digitalisierung in allen Bereichen des Theaters nicht aktiv selbst gestalten?