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GDL-Chef warnt vor neuem Milliardengrab

Bahn habe bereits in der Vergangenheit hunderte Millionen versenkt

Claus Weselsky, Bundesvorsitzender Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Quelle: Marco Urban Claus Weselsky Bundesvorsitzender GDL 24.11.2016
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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"Allein die Ankündigung einer Investition von 1 Milliarde Euro ist noch lange keine Strategie. Bereits in der Vergangenheit hat die DB mehrere hundert Millionen ohne messbares Ergebnis versenkt." Das sagt  Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL. Wichtiger als die milliardenteuren Digitalisierungspläne sei es, die Schieneninfrastruktur zusammen- und dann auf Vordermann zu bringen.







Die Deutsche Bahn hat ankündigt, 1 Milliarde Euro in Digitalisierungsprojekte zu investieren. Was halten Sie von dieser Strategie?
Allein die Ankündigung einer Investition von 1 Milliarde Euro ist noch lange keine Strategie. Entscheidend ist, wie die Mittel eingesetzt werden. Bereits in der Vergangenheit hat die DB mehrere hundert Millionen ohne messbares Ergebnis versenkt. Die Eisenbahn soll von der IT neu erfunden werden, aber im Ergebnis sehen wir täglich wie schlecht die Infrastruktur funktioniert und wie unzuverlässig und unpünktlich der Eisenbahnverkehr in unserem Lande geworden ist. Digitalisierung und zukunftsorientierte Technologien sind ja auch dringend notwendig, um die Sicherheit zu verbessern. Wir benötigen eine bessere Zugüberwachung, -sicherung, bessere Fahrassistenz- und Diagnosesysteme. Hier hat die DB die digitale Entwicklung teilweise verschlafen und so haben wir einen großen Nachholbedarf. Was wir definitiv nicht brauchen, sind Milliardeninvestitionen in automatisch fahrende Züge in einem offenen Eisenbahnsystem mit 34 000 Kilometern Streckennetz. Es sind nämlich nicht nur die Anforderungen an die Züge zum automatischen Fahren, die Geld kosten, sondern vor allen Dingen die Anforderungen an die gesamte Infrastruktur. Bisherige Erfahrungen mit automatischem Fahren zeigen klar, dass das Streckennetz von sämtlichen äußeren Einflüssen befreit werden muss. Wollen wir etwa das Schienennetz unter Tage neu verlegen oder an der Oberfläche zubauen? Hier wird etwas vorgegaukelt, was bei Betrachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses völlig hanebüchen ist. Ein effizienteres Verkehrsmittel, bei dem ein Lokomotivführer 500 Fahrgäste oder 2 000 Tonnen Güter befördert, gibt es nicht.

Wofür würden Sie das Investitionsprogramm von 1. Mrd. innerhalb der Deutschen Bahn einsetzen?
Die DB hat die Infrastruktur jahrzehntelang vernachlässigt und so sieht sie auch aus. Wir haben teilweise noch Sicherungssysteme, die aus den 50er Jahren stammen und die gerade erst flächendeckend eingebaut wurden. Darüber hinaus ist die Netzkapazität an den Grenzen angelangt, weil mit jeder Sanierungsphase des DB Konzerns auch Infrastruktur abgebaut worden ist. Weichen wurden mit Schneidbrennern abgetrennt, jede Menge Ausweichgleise und ganze Bahnhöfe stillgelegt. Das Netz ist randgenäht - und das mit vielen Langsamfahrstellen und Baustellen. Somit sind die Kunden von ständigen Verspätungen geplagt. Es gibt nur eine Lösung: Die Schieneninfrastruktur muss zuerst zusammengeführt, dann nachhaltig auf Vordermann gebracht und gleichzeitig ein flächendeckender Taktfahrplan für den Fern-, Güter und Nahverkehr eingeführt werden. Dazu ist es notwendig, DB Netz, DB Station & Service, DB Energie und auch die Werkstätten in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft oder GmbH zusammenzufassen und sie dadurch aus der Gewinnverpflichtung herauszunehmen. Eisenbahninfrastruktur kann keinen Gewinn erzeugen, weshalb sie auch dauerhaft im Eigentum des Bundes verbleiben und der Daseinsvorsorge dienen muss. Sämtliche Einnahmen über die Trassenentgelte müssen sofort wieder in den Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur gesteckt werden.

Ist es gut für den Wettbewerb, wenn die Deutsche Bahn den digitalen Mobilitätsmarkt in Deutschland bald komplett beherrschen wird?
Die Eisenbahnen insgesamt, nicht nur die DB, sollten definitiv den Zugang bis zum Endkunden behalten. Vielleicht muss man das gesamte öffentlich subventionierte Mobilitätsangebot, was ja weit überwiegend der Daseinsvorsorge dient,  unter dem Aspekt eines einheitlichen Angebotsmarktes mit direktem Zugang zum Endkunden betrachten. Wir sollten uns im Gemeinwohlinteresse nicht durch ausländische Konzerne, wie z.B. Google, Amazon oder wie sie alle heißen, aus dem Geschäft mit den Fahrgästen drängen lassen. Die zeichnen sich nur dadurch aus überall nach Subventionen zu rufen, diese zur Gewinnmaximierung zu vereinnahmen und dann anschließend keine Cent Steuern in unserem Lande zu zahlen. Insoweit muss durch den Eigentümer Bund auch klar definiert werden, ob das Mobilitätsangebot überhaupt unter dem Wettbewerbsaspekt stehen darf. Wettbewerb ist zwar der Antrieb unserer Wirtschaft, allerdings wissen wir mittlerweile alle, dass dieser für sich gesehen nicht das Allheilmittel ist und Privatisierungen nicht per se zu einer besseren Lösung oder Leistung führen. Betrachtet man das Mobilitätsangebot im Eisenbahnsektor und dem öffentlichen Nahverkehrsangebot gesamthaft unter dem Aspekt der Gesellschaft und dem Gemeinwohl zu dienen, dann ist man auch schnell bei der logischen Schlussfolgerung es ist eigentlich Infrastruktur und muss allen Transportunternehmen diskriminierungsfrei zu Verfügung gestellt werden.

Welche Vision haben Sie in Bezug auf die Zukunft des Reisens, welche Rolle spielen die Mitarbeiter, die für den reibungslosen Betrieb sorgen?
Ohne engagierte Mitarbeiter geht gar nichts. Erstens funktioniert die Technik oft nicht, was im Eisenbahngeschäft sofort sicherheitsrelevante Folgen auslösen würde. Zweitens geht nichts über einen Mensch mit Herz und Verstand, vor allen Dingen Sachverstand, der die Dinge regelt. Und drittens spielen die Kosten für Lokomotivführer und Zugbegleiter im Verhältnis zu den Gesamtkosten eine absolut untergeordnete Rolle. Das gilt im Übrigen auch für die anderen öffentlichen Verkehrsmittel mit Bündelfunktionen, wie Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen. Wenn es uns erst einmal gelänge diesen öffentlichen Nahverkehr so miteinander zu verbinden und zu vertakten, dass er erlebbar für die Kunden auch sicher, zuverlässig und pünktlich funktionieren würde, dann wäre wirklich eine Vision wahr geworden. Stattdessen operiert jeder für sich, versuchen Länder Taktfahrpläne im Nahverkehr zu schaffen, was ja eigentlich sehr gut ist, aber ohne die Einbindung des Schnellverkehrs bei der Eisenbahn auch nur isolierte Erfolge bescheren wird. Digitalisierung und Automatisierung sind richtig und wichtig. Sie müssen jedoch in erster Linie den Menschen dienen und nicht nur mit der Zielstellung verfolgt werden die Menschen zu ersetzen. Dies ist der völlig falsche Ansatz. Sollten wir uns für die nächsten Jahre wirklich visionär dem immer mehr zunehmenden Verkehr widmen, dann nur unter dem Aspekt den Individualverkehr abzulösen mit komfortablem öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Ob wir ein gut funktionierendes Eisenbahnsystem tatsächlich ablösen und durch was wir es ablösen, ist im Jahre 2016 völlig unklar. Ich halte es deshalb nicht so sehr mit den Visionären die vom Alltagsversagen nur ablenken wollen. Bisher ist dem Eisenbahnsystem mehr geschadet, als geholfen worden. Ganz offensichtlich benötigen wir Visionen für das hier und jetzt! Dabei ist jedwede Investition in technischen Fortschritt und auch Digitalisierung herzlich willkommen, was aber eben nicht heißt, dass diese beiden Dinge schon selbst eine Vision sind.

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