Eine Böhmermann-Satire zeichnet von der deutschen Pop-Musik das Bild des Rückfalls in die Heile-Welt-Klischees der 1950er vor. Teilen Sie diesen Befund?
Die These ist mir zu einfach. Das empfinde ich nicht so. Es gibt sehr viel anspruchsvolle deutsche Pop-Musik mit wirklich guten teilweise kritischen Texten. Denken Sie nur an das neue Album von Adel Tawil. Der Song „Gott steh mir bei“ spiegelt auf beeindruckende Weise das Chaos und die aktuellen Missstände in unserer Welt wider. Oder der Sänger Maxim. Seine Texte passen überhaupt nicht in die Heile-Welt-Kategorie. Die großen Hits – und das gilt nicht nur für die deutsche Pop-Musik - sind aber tatsächlich in der Regel einfacher gestrickt und entsprechen in Teilen diesem Klischee. Das liegt daran, dass die meisten Musiker im Popgeschäft ihre Musik in erster Linie verkaufen wollen und sich nach dem Geschmack des Publikums richten. Und das Publikum fängt man weniger mit negativen Themen oder dem erhobenen Zeigefinger, als vielmehr mit Herz-Schmerz, Feiern und der Darstellung einer heilen Welt. Meines Erachtens ist die deutsche Musikwelt trotzdem bunt gemischt und bietet vieles, das zum Nachdenken anregt.
Der Böhmermann-Beitrag beklagt häufiges Produkt-Placement in Video-Clips zu Popsongs. Welche Regeln sollten für diese Art der Werbung gelten?
Das würde ich den Künstlern überlassen. Gebe ich mich der Marktwirtschaft bedingungslos hin, will ich alles bis aufs letzte finanziell ausschlachten, wie man es aus den USA kennt, kann Produkt-Placement ein sehr lohnendes Geschäft sein. Man muss es dann halt nur mit seinen Grundwerten vereinbaren können. Einen künstlerischen Ansatz sehe ich da aber nicht mehr. Da geht es um Geld - nur um Geld - was ich persönlich sehr schade finde.
Viele Künstler, die mit ihren Alben in den Charts, sehr erfolgreich sind, finden im klassischen Musikradio wenig statt. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Viele erfolgreiche Künstler machen Musik, die vom Radiopublikum einfach nicht angenommen wird. Trotzdem haben sie eine große Anhängerschaft, die sich über andere Wege als das Radio gebildet hat. Zum Beispiel über das kontinuierliche disziplinierte Spielen von Konzerten. Ihre Alben steigen hoch in den Charts ein, die Singles meist weniger hoch. Dieses Phänomen findet man auch oft bei älteren Künstlern, die sobald sie wieder ein Album veröffentlichen, ihre Fans der ersten Stunde mobilisieren und in den Charts Spitzenpositionen einnehmen. Aber ihre Songs passen oft nicht mehr in den Zeitgeist. Somit findet man sie dann selten auf den Powerrotationen der Sender.
Ein Blick in die Kristallkugel: Welche Trends könnten den deutschen Pop-Markt in der nächsten Zeit prägen?
Ich denke, es wird bunt gemischt bleiben. Die Künstler und Bands schießen regelrecht aus dem Boden. Leider gibt es bei den wirklich Erfolgreichen einen deutlichen Männerüberhang. Aber ich hoffe, das wird sich gleichmäßiger verteilen. Es gibt so viele herausragende Künstlerinnen in Deutschland.