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Hat Digitalradio ein Klangproblem?

Ehemaliger Topmanager redet Klartext

Hans Strassmann, Technischer Direktor SwissMediaCast AG a.D. Quelle: SwissMediaCast AG Hans Strassmann Geschäftsführer a.D. SwissMediaCast AG 19.01.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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Hans Strassmann gilt als Digitalradio-Pionier der Schweiz. Unter seiner Leitung als Technischer Direktor des Sendernetzbetreibers SwissMediaCast AG wurden die DAB+ Sendernetze für die Privatradios in der deutschsprachigen Schweiz aufgebaut und betrieben. Jetzt gibt der ehemalige Topmanager zu, dass bei DAB+ im Vergleich zu UKW die Empfangsqualität und das grössere Programmangebot im Vordergrund stehen und nicht die Tonqualität.







Was macht eigentlich einen guten Radioempfang aus?
Aus Sicht des Publikums gibt es für den Radioempfang zwei Anforderungen: eine gute Empfangsqualität und eine gute Tonqualität. In der Qualitätsdiskussion ist nun wichtig zu wissen, dass UKW für Wort und Musik eine gute Tonqualität aufweist, wenn man es richtigmacht. Die FM-Modulation hat bezüglich Tonqualität zwar den Nachteil der audio-mässigen Leistungsbegrenzung: diese schränkt die Lautheit von perkussionsbetonter Pop-Musik oder Techno ein. Somit weist auch der Einsatz eines guten Sound-Processings / Limiting bei UKW seine Grenzen auf. Aber wenn alle technischen Empfehlungen beachtet werden, ist UKW gut.
Hingegen verschlechtert sich bei UKW laufend die Empfangsqualität. Dies äussert sich im mobilen Empfang durch Reflexionsstörungen (Bergflanken, höherer Verkehrsdichte / Lastwagen, Lärmschutzmassnahmen), durch Interferenzen infolge Hub-Überschreitung der Programmveranstalter, durch Interferenzeinstrahlung aus dem benachbarten Ausland, durch Überbelegung des Frequenzbands II. Beim stationären Empfang macht sich das Rauschen und bei einigen Weiterverbreitern sogar Klirr und Brumm bemerkbar. UKW erlaubt in der Schweiz frequenztechnisch keine neuen Radioprogramme mehr. UKW ist technisch ausgeschossen, kann kaum mehr weiter entwickelt werden: Gleichwellennetze sind bei UKW viel zu teuer.
Hier liegen die entscheidenden Vorteile von DAB / DAB+: ein neues, grösseres Frequenzband steht zur Verfügung (Band III von 175 bis 230 MHz), durch die Möglichkeit der Gleichwellennetze kann das Frequenzband viel besser ausgenutzt werden (und die Reflexionsprobleme beim mobilen Empfang sind automatisch gelöst), Störungen durch elektrische Leitungen entfallen, und der Empfang ist auch bei sehr hohen Geschwindigkeiten möglich, wichtig bei Hochgeschwindigkeitszügen. Die Empfangsqualität gegenüber UKW ist unvergleichlich besser.
Aber: DAB+ Sendernetze sind teuer; nur mit einer entsprechenden Datenreduktion können sie wirtschaftlich betrieben werden, indem pro Frequenz bis zu 18 Radioprogramme verbreitet werden. In der heutigen Praxis sind die Kosten für die Verbreitung eines DAB+ Radiosignals in einem vergleichbaren Versorgungsgebiet mit vergleichbarer Tonqualität und viel besserer Empfangsqualität im Schnitt rund fünf Mal niedriger als bei UKW. Die Folge: in der Schweiz werden viele neue, zusätzliche Radioprogramme ausgestrahlt.
Zusammenfassend: Für die Nutzung von DAB+ stehen die verbesserte Empfangsqualität und das grössere Programmangebot im Vordergrund, nicht die Tonqualität.

AAC mit HE und ohne: Welches ist die richtige Codierung?
Die SwissMediaCast AG strahlt alle Radioprogramme in AAC+ HE V1 mit einer Übertragungsrate von 64 kbps mit Protection Level 3A im Transmission Mode I verbunden mit den technisch bedingten Zusatzdaten und Dynamic Library System DLS aus. Damit ist die Verbreitung von insgesamt 18 Radioprogrammen pro Frequenz möglich. Falls MOT (z. B. Studiobilder, CD-Covers) ausgestrahlt wird, beträgt die Übertragungsrate 72 kbps. Dieser Entscheid basiert auf den umfassenden subjektiven Abhörtests der European Broadcasting Union EBU und auf folgenden Überlegungen bzw. Erfahrungen:
Für das Publikum ist ein sauberer, ungestörter Empfang wichtiger als eine höhere Tonqualität auf Kosten der Empfangsqualität. Deshalb die Prämisse des Protection Levels 3A, das heisst, einer hohen digitalen Redundanz, was auf Kosten der Übertragungsrate des Programmsignals geht.
Für das Publikum ist die Spectrum Band Replication SBR des Systems AAC+ HE V1 akzeptierbar, aber ein guter Stereo Sound muss gewährleistet sein. Deshalb wäre die Paremetric Stereo Bildung von AAC+ HE V2 nicht akzeptierbar, beziehungsweise würde gegenüber UKW als ein eindeutiger Qualitätsverlust empfunden.
Die subjektiven Abhörtests zeigen wesentliche Unterschiede zwischen so genannten Experts und Non-Experts auf. Rest-Artifakte werden als zulässig erachtet, solange das Publikum diese nicht bemerkt.
Zur Frage von anderen Codierungen: ohne HE (High Efficency) wird die Verbreitung für die Privatradioveranstalter zu teuer. Zudem haben wir festgestellt, dass die Mehrheit des Publikums die Eigenheiten von Codierern mit HE den Codierungen ohne HE subjektiv vorzieht („es tönt peppiger“).

Wieviel Bandbreite bringt guten Klang?
Bei so genannten Main-Stream Radioprogrammen, wie dies bei den Privatradios der Fall ist, genügen die oben erwähnten Übertragungsraten. Bei Programmen mit mehrheitlich klassischer Musik müsste bei AAC+ HE V1 die Netto-Übertragungsrate 72 kbps betragen. „Goldene Ohren“ können dann immer noch (mit guten Lautsprechern, in einer optimalen Abhörsituation) bestimmte Artefakte heraushören; das Publikum in üblichen Abhörsituationen und mit üblichen Lautsprechern „mittlerer Qualität“ hingegen kaum.
Zur Frage nach anderen Bandbreiten: Die Verbreitungskosten erhöhen sich proportional zur Bandbreite. Wir haben festgestellt, dass mit AAC+ HE V1 ab einer Übertragungsrate von 96 kbps keine Verbesserung der Tonqualität mehr bemerkt wird. Spezialisten, die wissen, auf was und auf welche Effekte sie höhren müssen, stellen zwischen 72 und 96 kbps eine Verbesserung der Tonqualität fest.
Bei weniger effizienten Codierungen (also ohne HE) wird die notwendige Bandbreite verdoppelt, je nach Codierung sogar verdreifacht, um dieselbe subjektive Tonqualität hinzubringen.

Was müssen die Sender bei der Aufbereitung des Signals beachten?
Das Signal muss sauber sein: das heisst, im produzierenden Studio in der digitalen Qualität AES / EBU vorliegen, wenn möglich ohne Datenreduktion auf den studio-internen Harddisk-Systemen. Dann muss für DAB+ am Studioausgang ein besonderes, von UKW unabhängiges Soundprocessing / Limiting erfolgen. Und - um nichts dem Zufall zu überlassen – die SwissMediaCast AG übernimmt die Signale dezentral diekt an den Studioausgängen, codiert dezentral mit eigenen Mitteln und überträgt das AAC+ HE V1 Signal mit den DLS Daten auf besonderen Zubringerleitungen unter eigener Kontrolle zu den eigenen zentralen Multiplexern / Playoutsystemen. Damit wird jegliche Kaskadierung von Codierungen vermieden. Das Signal erfährt somit vom Studio bis zum Empfänger nur eine Codierung, nämlich die AAC+ HE V1. Mit diesen Massnahmen sind die Radioveranstalter relativ frei in der Art der Produktion. Die Erfahrung zeigt, dass bei Quellenmaterial vom Studio die Gesamtqualität stimmt, dass aber bei eigenen externen Zubringungen die Radioveranstalter teilweise noch mehr in Qualität investieren könnten.

Und DAB+ im Vergleich mit UKW-Programmen?
Wie oben bereits erwähnt: UKW weist normalerweise eine gute Tonqualität auf. Bei UKW hat der Programmveranstalter die gesamte Distributionskette unter eigener Kontrolle. Bei DAB+ ist dies nicht der Fall, da ja pro Frequenz bis zu 18 Radioprogramme verschiedener Provenienz zusammengeschaltet werden. Damit stellt sich nun das Problem, wer an möglicher Reduktion von Qualität und Kosten eher profitieren soll: Der Veranstalter oder der Netzbetreiber / Verbreiter (der seine Kosten wieder an die Programmveranstalter verrechnet).
Rein sachlich ist klar: Einsparungen in der Verbreitung machen sich für alle Beteiligten mehr bemerkbar, als Einsparungen im Studio bzw. in der Produktion. Aber die Erfahrung zeigt, dass nicht alle Programm­veranstalter dies so sehen. Ihrem eigenen Kostendruck ausgesetzt mangelt es am zugelieferten Signal teilweise an Qualität. Und dies kann sich nun bei DAB+ tatsächlich stärker bemerkbar machen als bei UKW. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass die Kritik immer nur bestimmte Programmsignale meint, und nicht ein ganzes Ensemble auf einer Frequenz.
Stellt die SwissMediaCast AG bezüglich der gelieferten Signalqualität ein Verbesserungspotential fest, so nimmt sie jeweils mit dem betreffenen Programmveranstalter Kontakt auf.

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