Die Spielzeit 2016/17 steht kurz vor dem Start. Welche musikalischen Highlights in der kommenden Saison wollen Sie besonders hervorheben?
Diese Saison zeichnet sich durch eine ungewöhnlich hohe Zahl großer chorsinfonische Werke aus, wie die Oratorien von Mendelssohn, seine Sinfoniekantate, Tippetts „A child of our Time“ und viele andere Werke dieses Genres. Zu diesem vokalen Schwerpunkt gehört auch die Aufführung von Johann Chr. Friedrich Schneiders „Das Weltgericht“, das im Gewandhaus uraufgeführt wurde und das der GewandhausChor nun wieder ins Konzerthaus bringt und für CD einsingt. Mit unserem Ehrendirigenten Herbert Blomstedt setzen wir die CD-Aufnahmen seines Beethoven-Zyklus fort, der zu seinem 90igsten Geburtstag im kommenden Jahr veröffentlicht werden wird. Wir freuen uns zudem auf sehr hochkarätige Künstler wie beispielsweise Anne-Sophie Mutter. Neben einigen anderen Konzerten dirigiert der designierte Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons erstmals unser traditionelles Silvesterkonzert mit Beethovens 9. Sinfonie. Er wird auch eine von drei Deutschen Erstaufführungen dirigieren, das Orgelkonzert von Michael Gandolfi mit Gewandhausorganist Michael Schönheit. Die anderen beiden neuen Werke dirigieren Alan Gilbert (Violinkonzert von Anders Hillborg) und Wayne Marshall (Violinkonzert von Wynton Marsalis). Ich freue mich, dass wir in diesem Jahr die zehnte Ausgabe der Audio Invasion produzieren. Außerdem veranstalten wir – erstmals in Deutschland – das Galakonzert anlässlich der Preisverleihungen des International Classical Music Award (ICMA).
Welche Ideen und Projekte gibt es an Ihrem Haus für das Konzerthaus der Zukunft?
Was bedeutet „Konzerthaus der Zukunft“? Ein Konzerthaus definiert sich zuallererst über seine Inhalte und nicht über digitale Mehrwerte. Das Gewandhausorchester und das Gewandhaus stehen bewusst dafür ein, Traditionen zu pflegen und zu begründen. Es ist nicht unserer Anliegen, Moden nachzulaufen und mehr oder weniger gelungenes „Crossover“ zu produzieren – was ja gemeinhin gerne als das Allheilmittel zur Gewinnung von Publikum genannt wird. Wir vermitteln Musik zur Freude der Menschen. Unser Anspruch ist höchste Qualität, Werte zu schaffen und Identifikation zu stiften.
Mit unserem Musik vermittelnden Programm „Impuls“ und mit der Audio Invasion arbeiten wir dauerhaft und sehr nachhaltig daran, dass das Orchester, die Institution und die Musik eine Relevanz bei jüngerem Publikum bekommt. Außerdem laden wir bei leicht zugänglichen Angeboten Gäste ein, sich ein Bild von unserem Tun zu machen: Die von über 40.000 Gästen besuchten Open Air Konzerte „Klassik airleben“ im Rosental, der Gewandhaustag in der Innenstadt, der Tag der offenen Tür und das Musikfest für Alle.
Welche digitalen Dienste bieten Sie derzeit schon an, was planen Sie gegebenenfalls?
Wir produzieren mit dem Internetradio detektor fm Audiopodcasts, die Themen rund um die klassische Musik beleuchten. Wir produzieren Audio- und Videostreamings von Konzerten in Kooperation mit dem MDR und arte, aber auch eigenproduzierte Videostreams, die von unserem Sponsorpartner DHL unterstützt werden. Wir haben die, nach den Berliner Philharmonikern, größte Fangemeinde bei Facebook, sind bei Youtube und Soundcloud vertreten und sind bei Instagram und twitter sehr aktiv, mit stetig wachsenden Nutzerzahlen.
Ein Einlass-System mit Print at home-Tickets ist gerade in der Testphase und wird in Kürze zur Verfügung stehen. Darüber hinaus gibt es eine enge Kooperation mit der Deutschen Grammophon, was Aufnahmen mit unserem designierten Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons betrifft. Das erste Projekt wird sich den Sinfonien Anton Bruckners widmen.
Derzeit gibt es viele Klassik-Aktivitäten im Internet. Online-Plattformen, wie die Digitale Konzerthalle der Berliner Philharmoniker,Idagio, Klassik.TV oder niusic wollen die Klassikberichterstattung revolutionieren und neue Medien und Klassik zusammenzubringen. Braucht die Klassik neue junge Darstellungsformen?
Alle medialen Plattformen sind letztendlich Marketinginstrumente, um die klassische Musik vielfältig an interessierte Menschen zu bringen und sie erleichtern den Zugang zum jüngeren Publikum. Alle Darstellungsformen sind daher für die Verbreitung von klassischer Musik erst einmal willkommen. Die wichtige Frage, die dabei viele beschäftigt ist, ob man die Musik kostenlos hören/sehen kann oder nicht. Das wird eine der Herausforderungen sein, der wir uns stellen müssen. Wir arbeiten an einer Strategie, wie wir diese Kanäle sinnvoll für uns nutzen können.
Wie bewerten Sie grundsätzlich die Zukunft der Klassik?
Ich sehe die Zukunft der Klassik eher positiv. Alle Erhebungen und Untersuchen zeigen, dass es immer mehr Festivals mit klassischer Musik gibt, dass die Zuschauerzahlen in Konzerten mit klassischer Musik steigen und dass es immer mehr Musikschulen und –schüler gibt. In das Lamento über eine schrumpfende Interessengruppe kann ich – auch aus meiner Erfahrung in unserem Haus - nicht einstimmen.