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Mediales Überangebot für Kinder und Jugendliche bereitet Sorge

Was Eltern tun können und ab wann Kinder professionelle Hilfe brauchen

Dr. Maximilian Schenk, Geschäftsführer BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. Quelle: BIU Dr. Maximilian Schenk Geschäftsführer game - Verband der deutschen Games-Branche e.V. 09.01.2017
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Kinder und Jugendliche wachsen heute in einem medialen Überangebot auf, was zudem nahezu jederzeit und überall verfügbar ist", konstatiert BIU-Geschäftsführer Dr. Maximilian Schenk. Das führt zu vollständig neuen Herausforderungen - auch was etwaiges Suchtverhalten angeht.







5,7 % der Deutschen zwischen 12 bis 25 Jahren sind süchtig nach Computerspielen. Wie bewerten Sie diese Zahl?
Die Wissenschaft steht bei dieser Fragestellung erst am Anfang und ist weit entfernt von einem Konsens dazu, ob es derartige Mediensüchte überhaupt gibt und wie sie bemessen werden könnten. Weltweit wurden Begriffe wie „Internetsucht“ oder „Computerspielsucht“ nicht als Sucht deklariert, auch gibt es keine klinische Diagnose. Vielmehr zeigen wissenschaftliche Studien, dass eine einfache Ursachenzuschreibung bei den Betroffenen nicht möglich ist. Ein problematisches Nutzungsverhalten von Games tritt indes nur bei einer sehr kleinen Minderheit auf, wobei die Ursachen der Probleme überwiegend oder ausschließlich bei Faktoren außerhalb der Medien gesehen werden. Vor diesem Hintergrund sehen wir die aktuell kommunizierten Zahlen kritisch: Sie suggerieren, dass ein einheitliches und anerkanntes Krankheitsbild existiert, was nicht der Fall ist. Damit erschweren solche Studien eine faktenorientierte Diskussion über den richtigen Umgang mit Menschen, die die Kontrolle über ihre Nutzung von sozialen Netzwerken oder Games verloren haben.

Dabei sind die geschilderten Beobachtungen in der Tat Grund zur Sorge: Kinder und Jugendliche wachsen heute in einem medialen Überangebot auf, was zudem nahezu jederzeit und überall verfügbar ist. Diese im Vergleich zu allen Generationen zuvor veränderte Medienrealität führt zu vollständig neuen Herausforderungen. Dies gilt vor allem bei der Vermittlung von Medienkompetenz, die noch nie so wichtig war wie heutzutage. Die Games-Branche nimmt ihre Verantwortung in diesem Bereich sehr ernst: Sie beteiligt sich aktiv an Projekten zur Vermittlung von Medienkompetenz – in Deutschland unter anderem über die Stiftung Digitale Spielekultur. Zudem ist die deutsche Games-Branche sehr aktiv im Bereich technischer Hilfestellungen – JusProg ist hierfür ein wichtiges Beispiel. Grundsätzlich gilt bei der Vermittlung von Medienkompetenz: Nur gemeinsam können wir Kinder und Jugendliche auf die heutige und künftige Medienwelt vorbereiten.

Mit 8,4 % sind Jungs und junge Männer beinahe doppelt so oft betroffen wie Mädchen und junge Frauen. Wie erklären Sie sich diesen großen Unterschied?
Problematisches Nutzungsverhalten gibt es nicht nur bei Games, sondern auch bei Sozialen Netzwerken, Online Shops und anderen Internetangeboten. Es ist also auch immer eine Frage, welches problematische Nutzungsverhalten jeweils betrachtet wird, wenn es um das Gesamtbild geht. Bisherige Untersuchungen haben gezeigt: Während junge Männer mit Problemen stärker in Games Zuflucht suchen, sind es bei jungen Frauen eher Soziale Netzwerke. Bisher gibt es lediglich einige Thesen, wie es zu diesen geschlechterspezifischen Unterschieden kommt – belastbare wissenschaftliche Befunde fehlen hier noch.

In ersten Reaktionen fordern einzelne Experten schärfere Altersfreigaben für Computerspiele. Wie stehen Sie dazu? Haben Sie ggf. andere Vorschläge?
Forderungen nach einer verschärften Altersfreigabe in diesem Kontext sind bereits von Marlene Mortler, der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, rund um ihre Jahrestagung in Berlin medienwirksam erhoben worden. Bereits damals wurde der Vorschlag kaum weiter aufgegriffen, weil er die allseits anerkannte Funktion von Alterskennzeichen bei Medienprodukten missachtet: Diese sind keine pädagogischen Empfehlungen, sondern geben die Altersgrenze an, ab der ein Inhalt keine jugendschutzrechtliche „Entwicklungsbeeinträchtigung“ für Kinder und Jugendliche darstellt. Das heißt im Klartext: Eine Altersfreigabe ab 6 Jahren bedeutet nicht, dass ein entsprechendes Spiel auch für einen 6-Jährigen verständlich ist, sondern nur, dass weder seine körperliche noch seelische oder geistige Entwicklung durch Kenntnisnahme des Spiels beeinträchtigt werden würde. Diese Logik der Alterskennzeichen für Medien wie Filme und Games basiert auf gesetzlich verbindlichen Behördenentscheidungen auf Grundlage eindeutiger Jugendschutzkriterien.
Zudem muss bei dem Vorschlag bedacht werden, dass es auch nicht möglich ist, objektiv zu bemessen, inwieweit welche Spielmechaniken die Spieler besonders an einen Titel fesseln. Dies ist von Spieler zu Spieler sehr unterschiedlich. Hier zeigt auch die Erfahrung: Selbst Spiele, denen ein solches „Suchtpotenzial“ gerne unterstellt wird, werden von Millionen Spielern weltweit begeistert gespielt, ohne dass Probleme auftreten.

Eine Umsetzung dieses Vorschlages würde Eltern vor allem aber stark verunsichern. Denn bisher ist die Bedeutung einer Alterskennzeichnung eindeutig nachvollziehbar: Je höher die Alterseinstufung, desto problematischer sind die Inhalte für Kinder. Würde aber ein Faktor wie die aufgewendete Zeit mit in die Klassifikation einfließen, könnte ein zeitaufwendiges Strategie- oder Rollenspiel ohne jegliche entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte eine ähnliche Alterseinstufung bekommen wie ein Ego-Shooter, der sich ausschließlich an ein erwachsenes Publikum richtet

Immer mehr immer jüngere Deutsche besitzen Smartphones. Welchen Einfluss auf die Computerspielsucht erwarten Sie dadurch?
Smartphones sind aus dem Alltag der meisten Erwachsenen aber auch sehr vieler Jugendlicher nicht mehr wegzudenken. Auch als wichtige Games-Plattform haben sie sich fest etabliert. In der Regel wird auf dem Gerät aber vor allem zwischendurch gespielt, beispielsweise beim Warten auf den Bus. Ein problematisches Nutzungsverhalten hinsichtlich des Spielekonsums auf Smartphones ist uns nicht bekannt.

Was empfehlen Sie betroffenen Eltern?
Grundsätzlich sollten Eltern, aber auch das weitere familiäre Umfeld, Kinder und Jugendliche bei ihrem Medienkonsum begleiten: Sie sollten sich damit auseinandersetzen, was ihr Kind konsumiert und wie viel Zeit es dafür aufwendet. Vor allem sollten eindeutige und transparente Regeln zur Mediennutzung aufgestellt werden. Alle Medien, sowohl TV als auch Games oder das Internet ganz allgemein, sollten sehr bewusst genutzt werden. Die Rolle der Eltern als Beispiel für eine bewusste Mediennutzung darf hierbei nicht unterschätzt werden. Wertvolle Tipps beim Umgang mit Computer- und Videospielen erhalten Eltern etwa im Elternratgeber, herausgegeben von der USK und der Stiftung Spielekultur. Der Elternratgeber ist kostenfrei unter http://www.usk.de/usk-broschueren erhältlich. Eltern, die feststellen, dass sich ihr Kind zunehmend von der Welt abkapselt, seine freie Zeit immer häufiger im eigenen Zimmer verbringt und dabei Familie, Freunde und Freizeitaktivitäten oder gar die Schule vernachlässigt, sollten zunächst das direkte Gespräch suchen. Wichtig ist aber auch: Erkennen die Eltern, dass sie mit diesen Gesprächen nichts erreichen, sollten sie umgehend professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Hinter der exzessiven Nutzung von Games und sozialen Netzwerken stecken ernsthafte Probleme des Kindes bis hin zu möglichen psychischen Erkrankungen und gehören daher behandelt.

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