Radio beim Frühstücken, TV als wichtigstes Medium – die Mediennutzung von Kindern scheint nach der aktuellen KIM-Studie in der Tradition der Eltern zu stehen. Ist das Bild von einer heranwachsenden digitalen Generation übertrieben?
Nun, ich hoffe, dass sich auch die künftigen Generationen nicht ausschließlich aus Nullen und Einsen zusammensetzen… Aber im Ernst: Mit Sicherheit haben sich kindliche und jugendliche Lebenswelten hinsichtlich des relativ früh einsetzenden und wenig eingeschränkten Mediengebrauchs deutlich verändert. Heranwachsende integrieren diese Medientechnologien und die darüber verfügbaren Angebote ganz normal und zunächst weitgehend unreflektiert in ihren Alltag, erweitern damit ihre Kommunikationsradien, ergänzen ihre Wahrnehmung von der Welt, engen sich aber gleichzeitig dadurch auch ein, indem sie relativ früh ein „Nutzerprofil“ herausbilden, das dann durch Algorithmen passgenau bedient wird. All dies wird durch die familiale Erfahrung in unterschiedlichem Maße beeinflusst und begleitet, abhängig vom häuslichen Klima und einem vertrauensvollen Miteinander. Ich bin also gegen übertriebene Vereinseitigungen und tendiere diesbezüglich zu einer gewissen Gelassenheit.
Die beliebteste Internetseite bei Kindern ist die Videoplattform YouTube – wie können die beliebten kurzen Formate die Mediennutzung dauerhaft verändern?
Eine traditionelle Funktion des Fernsehens verliert dadurch an Bedeutung: die zeitliche Strukturierung des Tages bzw. der Woche. Auf YouTube ist alles jederzeit verfügbar, selbst der Sandmann muss nicht mehr um 18:50 Uhr geschaut werden. An die Stelle eines relativ verlässlichen Koordinatensystems (mit seinen „Zwängen“) tritt so eine zunehmende Beliebigkeit, aber eben auch die positive Möglichkeit, gewünschte Inhalte dann zu erreichen, wenn man sie benötigt (z. B. zum Lernen) und nicht, wenn sie gesendet werden. Heutige Kinder werden also schwerlich verstehen, wenn sie diese Zeitsouveränität nicht in allen Lebensbereichen besitzen – das aber zu akzeptieren ist eine wichtige Erziehungsaufgabe, wie ich finde. Ebenso die Erkenntnis, dass eine Aufmerksamkeitsphase auch mal länger sein darf als die zwei, drei Minuten eines Videoschnipsels.
Mindestens 38 % der befragten Kinder haben schon Games gespielt, für die sie nach der Empfehlung der USK zu jung sind. Oft haben sie diese Spiele von den Eltern bekommen. Was empfehlen Sie Eltern in Sachen Games?
Die Empfehlungen der USK sind – wie jene der anderen Selbstkontrollgremien – in aller Regel nicht oder kaum pädagogisch intendiert. Insofern können Eltern in der konkreten Einschätzung ihres Kindes gegenüber pauschalen Klassifizierungen im Vorteil sein. Wenn sie zudem noch das Kind im Mediengebrauch begleiten, ansprechbar sind, ggf. auch emotionale Unterstützung geben, dann halte ich den genannten Fakt nicht für problematisch. Allerdings müssten sich Eltern dazu auch tatsächlich im Medienangebot gut auskennen und informieren (lassen) und keinesfalls nur auf den (durch Wünsche oder Hinweise darauf, was die gleichaltrigen Freunde angeblich alles dürfen, aufgebauten) Druck des Kindes reagieren.
53 % der Haupt- oder Realschüler und 56 % der Gymnasiasten haben schon einmal einen Computer in der Schule benutzt. Wie bewerten Sie diese Zahlen?
Ach, das ist mir wirklich zu pauschal. Es sagt nichts aus über die Klassenstufe, die konkrete Unterrichtssituation, den didaktischen Zusammenhang der Computernutzung, die wertende Reflexion desselben oder die Kontinuität und Systematik des Mediengebrauchs. Mit dieser Prozentzahl allein ist keine Aussage über die Unterrichtsqualität möglich, und letztere kann nicht quantitativ gesteigert werden. Da ich lange in der Lehrerbildung und Unterrichtsentwicklung tätig bin, weiß ich natürlich, dass viele Lehrkräfte den gar nicht mehr so neuen Medien noch immer skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Zu überzeugen wären sie nur mit wirklich sichtbaren Vorteilen des Mediengebrauchs für den Unterricht und die Lernenden hinsichtlich der Entwicklung von Kompetenzen einerseits, von Persönlichkeit andererseits. Und da müssen wir ansetzen, wenn wir Schule im 21. Jahrhundert weiterentwickeln wollen.