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Nur die Digitalisierung rettet das Radio

Warum die kuschelig eingenistete und verkrustete Radiobranche umdenken sollte

René Wehrlin, Projektleiter Digitalisierung und Konvergenz Abteilung Medien/Bundesamt für Kommunikation BAKOM Quelle: worlddab René Wehrlin Projektleiter Bundesamt für Kommunikation BAKOM 06.07.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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Ein UKW-Ausstieg würde die "bestehende, kuschelig eingenistete und oft auch etwas verkrustete Radiobranche" radikal über den Haufen werfen, so René Wehrlin, Projektleiter Digitalisierung und Konvergenz Abteilung Medien/Bundesamt für Kommunikation BAKOM in der Schweiz. "Neue Player kommen hinzu, Märkte werden neu definiert, die Hörgewohnheiten ändern sich. Dies kann für bestehende Radiostationen schmerzhaft, möglicherweise existenziell sein; deshalb ist es entscheidend, dass sie mit im Boot sind." Für eine UKW-Abschaltung spräche mehr Vielfalt, mehr Wettbewerb und damit mehr Innovation. "Oder viel profaner, so wie es auch die Norweger formulierten: Die Digitalisierung ist die Rettung des Mediums Radio an sich."







Auf dem Automotive-Tagung des Digitalradio-Weltverbandes WorldDAB in München wurde gefordert, europaweit DAB+ in jedes Auto serienmäßig einzubauen. Unterstützen Sie diese Forderung?
Ein obligarorischer Einbau von Multichip-Empfangsgeräten ist zweifellos auch für die Schweiz wünschenswert. Denn damit würde die Basis für einen raschen Umstieg von UKW zu DAB+ geschaffen. Da unser Land aber keine eigene Automobilproduktion hat, läuft eine solche Vorschrift bei uns ins Leere. Ebensowenig realistisch sind auch Importverbote von UKW-Only-Fahrzeugen: Dagegen sprechen WTO-Vereinbarungen und bilaterale Importabkommen mit der EU. Wir hatten die Frage tatsächlich andiskutiert, kamen jedoch zum Schluss, dass Importverbote auch eine kontraproduktive Wirkung haben könnten.

Wie sieht derzeit die Situation in der Schweiz aus?
In der Schweiz wurden 2016 rund 66% aller verkauften Fahrzeuge standardmässig mit DAB+-Empfang ausgeliefert. Erfreulich ist auch, dass weitere 21% der Autokäufer im Jahr 2016 die Zusatzoption DAB+ wählten. Insgesamt fahren in der Schweiz heute rund 740‘000 Fahrzeuge mit DAB+-Empfang auf unseren Strassen herum – von total 4.8 Millionen. Da ist also noch einiges zu tun. Immerhin wissen wir, dass in der Schweiz durchschnittlich alle fünf Jahre das Fahrzeug gewechselt wird.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Autobauer und Autohändler von DAB+ noch stärker zu überzeugen? Was kann die Politik ggf. tun?
Die Autoindustrie richtet sich bekanntlich nach dem Markt. Wenn sie feststellt, dass ein Produkt zu einem Pflichtbestandteil wird, wenn also der Nachfragedruck steigt, integriert sie dieses Produkt relativ rasch in ihre Fahrzeuge. Doch die Industrie will auch Sicherheit: Unsere Erfahrung zeigt, dass die Industrie erst reagierte, nachdem die Radiobranche (Private und SRG) zusammen mit den Behörden klar und deutlich ihren Willen signalisierte, dass sie den Umstieg anstreben will und dafür auch den zeitlichen Horizont aufzeigte. Entscheidend ist also ein klares Commitment aller Akteure. Dann steigt auch die Autoindustrie auf den Zug. Unterstützend für den Prozess war sicher, dass der Bund gleichzeitig rund 40 Millionen Franken freimachte, die bis mindestens 2019 an jene Radiostationen ausbezahlt werden, die ihr Programm über DAB+-Netze verbreiten. Konkret erhalten sie 75% ihrer Verbreitungskosten zurückerstattet. Auch das ist ein klares Commitment seitens der Behörden. Dass daneben eine intensive Marketing- und Werbetrommel in Gang gesetzt wird, versteht sich von selbst und läuft im Automobilbereich auch schon seit vielen Jahren erfolgreich. Seit Juni 2017 hat das Bakom zusätzlich eine zweijährige Marketingkampagne für die Nutzerinnen und Nutzer am laufen, die sie mit weiteren vier Millionen finanziert. Ein weiteres wichtiges Element für die Autobranche, aber auch für die Automobilisten, ist eine sichere Versorgung. Einen Umstieg zu propagieren, ohne dass eine lückenlose Versorgung sichergestellt ist, ist wenig zielführend, im Gegenteil, das ist kontraproduktiv, da es alle Beteiligten gegen DAB+ in Stellung bringt. Besonderes Augenmerk muss dabei auch auf die Tunnel-Versorgung gerichtet werden. In der Schweiz haben wir über 200 Tunnels entlang unserer Nationalstrassen. Die dafür zuständige Verkehrsbehörde hat nun 30 Millionen Franken reserviert, um bis Ende 2018 alle Tunnels, die länger als 300 Meter sind, mit DAB+-Sendeanlagen auszustatten.

Empfehlen Sie Deutschland - nach dem Umstieg in Norwegen und dem geplanten UKW-Ausstieg in der Schweiz - UKW zugunsten von DAB+ aufzugeben? Was spräche dafür, was ggf. dagegen?
Welch eine Ehre, wenn die Schweiz eine Empfehlung an Deutschland abgeben darf; aber ich verzichte darauf, einerseits, weil ich mit den deutschen Verhältnissen zu wenig vertraut bin, andererseits, weil jedes Land aufgrund seiner Struktur und Konstellation eigene Entscheide fällen soll. Was spricht generell gegen eine UKW-Abschaltung: Auf den Punkt gebracht wirft der UKW-Ausstieg die bestehende, kuschelig eingenistete und oft auch etwas verkrustete Radiobranche radikal über den Haufen. Neue Player kommen hinzu, Märkte werden neu definiert, die Hörgewohnheiten ändern sich. Dies kann für bestehende Radiostationen schmerzhaft, möglicherweise existenziell sein; deshalb ist es entscheidend, dass sie mit im Boot sind. Was spricht für die UKW-Abschaltung (sofern Versorgungsqualität, Geräteabdeckung und Autoausrüstung genügend ist): mehr Vielfalt, mehr Wettbewerb und damit mehr Innovation. Oder viel profaner, so wie es auch die Norweger formulierten: Die Digitalisierung ist die Rettung des Mediums Radio an sich.

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