Die Schiffsfunker im Nordatlantik staunten nicht schlecht, als sie am Heiligabend 1906 plötzlich Musik auf ihren Kopfhörern empfingen statt der gewohnten Morsesignale. Sie erlebten die Geburt des Radios, als der kanadische Erfinder Reginald Fessenden aus Massachusetts mit einem Mikrofon und einem selbst gebastelten Radiosender auf Sendung ging - auf der Geige spielte und aus der Bibel vorlas. Gut 100 Jahre und zahlreiche „Neuerfindungen“ des Radios später, geht auch die Zeit des passiven Radiorezipienten zu Ende. Die Generation Download, ausgerüstet mit radiotauglichen Handys, iPod und schnellen Internetverbindungen, wartet auf das Radio 2.0.
„Ein Teil unserer Hörer ist doch schon längst eigener Programmdirektor - auch ohne Web 2.0. Seit es mp3-Player und bestimmte Internet-Downloadportale gibt, ist jeder in der Lage, sein eigenes Programm zusammenzustellen“, sagt Eric Markuse, Leiter der Hauptabteilung Neue Medien beim Mitteldeutschen Rundfunk und Programmchef von MDR Sputnik. Die Tragik bestehe darin, dass das Radio diese Entwicklung völlig verpennte und ein Problem bekam, weil es nicht selber Podcasts erfand oder Musikdownloadportale. „Die Chance liegt jetzt in der sinnvollen Kombination aus den neuen, interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0 mit den alten, interaktiven Möglichkeiten des Radios.“ Um mehr und neue Hörer zu erreichen, sieht Markuse kurzfristig die größten Potenziale im Internet und mittelfristig im
Handybereich. Deshalb beteilige sich Sputnik am Mobile-Broadcast-Pilotprojekt des MDR und besitzt seit kurzem ein eigenes Video-Studio.
Der Programmdirektor und Geschäftsführer von radio SAW/Rockland, Mario A. Liese, rechnet in der digitalen Welt mit einer Diversifikation und einem Mehr an Formatierung. „Die Medien verschmelzen miteinander. Die Verfügbarkeit des Programmsignals wird eine spannende Frage. Weiterer wichtiger Punkt ist die Visualisierung. Anfang des Jahres haben wir SAW.TV gegründet und damit den Weg in die Bewegtbilder eingeschlagen.“ Der Magdeburger Sender betrachtet Radio weiterhin als regionale Marke. „Deshalb werden wir radio SAW vor allem im regionalen Bereich weiter als Marke pflegen und für die Digitalisierung fit machen. Im überregionalen Bereich werden wir uns nur gemeinsam mit Partnern aufstellen wollen.“
Auch der Geschäftsführer von 89.0 RTL, Olaf Hopp, ist sicher: Die Digitalisierung gewinnt immer mehr an Dynamik. „Jetzt gilt es, die Wettbewerbsvorteile herauszuarbeiten durch die Integration neuer interaktiver Features.“ Die Hörer wollen eingebunden sein, auch wenn Hopp nicht glaubt, dass sie jemals die Regie übernehmen würden.
Ein möglicher Verbreitungsweg ist das Internet. „Das Radioverhalten wird sich stetig erweitern, aber nicht grundlegend revolutionär verändern. Es ist eine Evolution, die zu differenzierterer, fragmentierterer Mediennutzung führt, aber nicht alles auf den Kopf stellen wird.“ Er mahnt zur Vorsicht und einer sachlichen Diskussion: „Keiner weiß, was kommen wird und ob sich die Investitionen von heute jemals lohnen. Es herrscht das Prinzip trial and error.“ Fakt sei jedoch, an DAB führt kein Weg vorbei.