Menue-Button
← FACHDEBATTE Interview

Regeln gegen Hasskommentare gefährlich - und aktionistisch

Liberale kritisieren Gesetzentwurf heftig

Wolfgang Kubicki, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP Quelle: FDP Wolfgang Kubicki Stellvtr. Bundesvorsitzender FDP 07.04.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
ZUR FACHDEBATTE

"Der aktuelle rechtliche Rahmen reicht auch absolut aus, um gegen Hasskommentare vorzugehen", sagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Den Entwurf des sogenannten NetzDG sieht er als "verfassungsrechtlich höchst bedenklich" an.







Nach dem Entwurf des NetzDG sollen Plattformbetreiber binnen eines Tages „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte entfernen. Was halten Sie von dem Plan?
Diese Regelung ist gefährlich, weil sie zu einer Privatisierung der Strafverfolgung führen könnte. Plattformen wie Facebook wären zugleich Staatsanwalt und Richter. Da es um „rechtswidrige Inhalte“, also nicht nur um strafbare Inhalte geht, ist es auch noch unerheblich, ob der Verfasser des Posts vorsätzlich jemand anderen beleidigen wollte, was zu einer massiven Ausweitung des Anwendungsbereichs führen würde. Das alles ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich.

Es erscheint auch absurd, wenn ausgerechnet das Justizministerium staatliche Aufgaben an teilweise ausländische Unternehmen verlagern will, anstatt sich selbst um die konsequente Durchsetzung geltenden Rechts zu kümmern. Denn es ist die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden – also vor allem der Staatsanwaltschaften – Beleidigungen und Verleumdungen im Internet zu verfolgen. Der aktuelle rechtliche Rahmen reicht auch absolut aus, um gegen Hasskommentare vorzugehen. Das eigentliche Problem ist, dass einige Behörden an Kapazitätsgrenzen stoßen und somit Probleme haben, den Fällen entsprechend nachzugehen.

Bedenkt man, dass die Löschquoten teilweise schon zwischen 93 und 100% liegen, wirkt das ganze Vorhaben auch noch wie eine aktionistische PR-Aktion zur politischen Profilierung.
Die 24-Stunden-Frist ist im Übrigen auch europarechtlich fragwürdig, da die E-Commerce-Richtlinie die Plattformbetreiber nur zu einer „unverzüglichen“ Löschung ab Kenntnis, was ohne schuldhaftes Zögern bedeutet, verpflichtet und die Konkretisierung auf einen Tag dem zuwider laufen könnte.

Kritiker befürchten, dass durch das Gesetz Inhalte im Zweifel lieber gelöscht werden – und so die Meinungsfreiheit bedroht wird. Was sagen Sie dazu?
Die völlig realitätsfernen Fristen zusammen mit den hohen Bußgeldern werden dazu führen, dass die Betreiber grenzwertige Inhalte im Zweifel löschen werden. Und eine solch weite, im schlimmsten Fall gar wahllose Löschpraxis geht natürlich zu Lasten der Meinungsfreiheit.
Der betroffene Nutzer kann zwar gegen die Entfernung vorgehen, allerdings bedeutet dieses Verfahren eine Einschränkung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz, weil eine gerichtliche Kontrolle vor Löschung eben gerade nicht vorgesehen ist.

Hinzu kommt, dass bestimmte Interessengruppen die Überforderung und Angst der Betreiber vor Bußgeldern nutzen könnten, um missliebige Meinungen flächendeckend zu unterdrücken. Es droht also eine politisch oder interessengesteuerte Zensur im öffentlichen Raum. Das kann niemand ernsthaft wollen.

Gesperrte Inhalte sollen zu Beweiszwecken gespeichert werden. Wie bewerten Sie das?
Die Speicherung ist aus Gründen der Strafverfolgung zweifelsohne verständlich und für die Funktionalität des Gesetzes ja auch faktisch unerlässlich. Datenschutzrechtlich ist die Sammlung aller vom Gesetz erfassten Inhalte durch private Unternehmen aber mehr als nur bedenklich, zumal keine Speicherfristen vorgegeben werden. So droht eine partielle Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür. Eine unbegrenzte Speicherung eines beleidigenden Inhalts beim Plattformbetreiber dürfte zudem auch kaum im Interesse des Opfers sein.

Das Gesetz soll nicht nur für die klassischen Sozialen Netzwerke gelten, sondern stets, wenn beliebige Inhalte mit anderen Nutzern ausgetauscht, geteilt oder öffentlich zugänglich gemacht werden. Wie können solche Regeln z. B. in Messengerdiensten wie WhatsApp durchgesetzt werden?
Bezieht man sich auf den Gesetzestext und die Gesetzesbegründung, wäre nicht einmal ausgeschlossen, dass auch Maildienstleister und Datenspeicherdienste wie Dropbox betroffen sein könnten. Es ist vollkommen unklar, womit diese Ausweitung begründet wird. Bislang fehlt es schon an einem aussagekräftigen Monitoring für derartige Dienste, das einen Handlungsbedarf rechtfertigen würde. Genauso bleibt im Dunkeln, wie das Verfahren hier konkret umgesetzt werden soll, handelt es sich doch hauptsächlich um geschlossene Kommunikation.

UNSER NEWSLETTER

Newsletter bestellen JETZT BESTELLEN

■■■ WEITERE BEITRÄGE DIESER FACHDEBATTE

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Halina Wawzyniak
Netz- und Rechtspolitische Sprecherin
Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Halina Wawzyniak, Netz- und Rechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE
Trends | Web

Hass kann man nicht löschen

Welche Probleme die Linke mit den geplanten ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Halina Wawzyniak
Netz- und Rechtspolitische Sprecherin
Bundestagsfraktion DIE LINKE.

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Elisabeth Winkelmeier-Becker
MdB
CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Elisabeth Winkelmeier-Becker, MdB, Rechts- und verbaucherpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Trends | Web

Die Zeit der runden Tische ist vorbei

Warum die CDU im Bundestag den Gesetzentwurf ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Elisabeth Winkelmeier-Becker
MdB
CDU/CSU-Bundestagsfraktion

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Volker Tripp
Advocacy Manager
Digitale Gesellschaft e.V.

Volker Tripp, Advocacy Manager Digitale Gesellschaft e.V.
Trends | Innovationen

Dem Rechtsstaat droht Gefahr

Warum die Politik nicht der Wirtschaft die Macht ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Volker Tripp
Advocacy Manager
Digitale Gesellschaft e.V.

ZUR FACHDEBATTE

■■■ DIESE FACHDEBATTE KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN

Uwe Schimunek

INITIATOR
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info

ÜBER UNSERE FACHDEBATTEN

Meinungsbarometer.info ist die Plattform für Fachdebatten in der digitalen Welt. Unsere Fachdebatten vernetzen Meinungen, Wissen & Köpfe und richten sich an Entscheider auf allen Fach- und Führungsebenen. Unsere Fachdebatten vereinen die hellsten Köpfe, die sich in herausragender Weise mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

überparteilich, branchenübergreifend, interdisziplinär

Unsere Fachdebatten fördern Wissensaustausch, Meinungsbildung sowie Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Sie stehen für neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit unseren Fachdebatten wollen wir den respektvollen Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ermöglichen - faktenbasiert, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Ausklammerung kontroverser Meinungen.

kompetent, konstruktiv, reichweitenstark

Bei uns debattieren Spitzenpolitiker aus ganz Europa, Führungskräfte der Wirtschaft, namhafte Wissenschaftler, Top-Entscheider der Medienbranche, Vordenker aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie internationale und nationale Fachjournalisten. Wir haben bereits mehr als 600 Fachdebatten mit über 20 Millionen Teilnahmen online abgewickelt.

nachhaltig und budgetschonend

Mit unseren Fachdebatten setzen wir auf Nachhaltigkeit. Unsere Fachdebatten schonen nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das eigene Budget. Sie helfen, aufwendige Veranstaltungen und überflüssige Geschäftsreisen zu reduzieren – und trotzdem die angestrebten Kommunikationsziele zu erreichen.

mehr als nur ein Tweet

Unsere Fachdebatten sind mehr als nur ein flüchtiger Tweet, ein oberflächlicher Post oder ein eifriger Klick auf den Gefällt-mir-Button. Im Zeitalter von X (ehemals Twitter), Facebook & Co. und der zunehmenden Verkürzung, Verkümmerung und Verrohung von Sprache wollen wir ein Zeichen setzen für die Entwicklung einer neuen Debattenkultur im Internet. Wir wollen das gesamte Potential von Sprache nutzen, verständlich und respektvoll miteinander zu kommunizieren.