Die Trainer dürfen bei der Fußball-WM in Russland mit ihren Analysten auf der Tribüne kommunizieren – wie verändert es das Fußball-Spiel, wenn Spieler-Daten simultan für taktische Entscheidungen oder für Ein- und Auswechslungen genutzt werden können?
Kurzfristig geht es um Nuancen, die für den Zuschauer vor dem Fernseher und im Stadion kaum wahrnehmbar sein werden. Auch heute reagieren Trainer bereits in der Halbzeit auf taktische Informationen, die ein Analyst in den ersten 45 Minuten von der Tribüne aus gesammelt hat. Letztendlich steht und fällt der Einfluss solcher Maßnahmen auch mit den zur Verfügung stehenden Daten. In den nächsten Jahren wird der Fokus noch auf physischen Daten liegen. Trainer können so beobachten, wie fit ihre Spieler noch sind und dementsprechend in der Schlussphase eines Spiels reagieren.
Über einen langen Zeithorizont gedacht, werden die Möglichkeiten und damit der Einfluss auf das Spiel jedoch durchaus groß sein. Es ist nicht unrealistisch, dass es in der Zukunft Coaching-Tools geben wird, die taktische Maßnahmen während eines Spiels vorschlagen werden. In den großen Ligen und Wettbewerben gibt es bereits heute ein „Optisches Tracking“, das 25mal pro Sekunde die Position der Spieler und des Balls erfasst. Wirklich spannend wird es, wenn man sich nun eine Software vorstellt, die realtaktische Formationen erkennt, Schwachstellen innerhalb dieser Formation ermittelt und diese dem Trainer bzw. seinen Analysten in Echtzeit mitteilt.
Wie verändert sich die Rolle des Coaches in der zunehmend Daten-gestützten Arbeit im Training und während des Spiels? Muss ggf. die Trainerausbildung angepasst werden?
Daten beeinflussen mittlerweile die meisten Bereiche des Trainer-Alltags: Trainingssteuerung, Gegneranalysen, taktische Maßnahmen. Dafür arbeiten die Trainer mit Spezialisten zusammen, die besagte Daten interpretieren und aufbereiten, sodass beim Trainer bestenfalls alle Fäden zusammenlaufen. Letztendlich entscheiden jedoch verschiedene Bausteine, ob und wie erfolgreich eine Mannschaft abschneidet. Die Datenanalyse ist einer dieser Bausteine, der in der Zukunft und getrieben von technischen Entwicklungen eine immer größere Bedeutung bekommen wird. Natürlich sollte sich eine moderne Trainerausbildung dieser Entwicklung auch nicht entziehen.
Sind in Zeiten von allumfassenden Daten-Tracking auch andere Spieler-Typen gefragt?
Der Fußball hat sich in der Vergangenheit immer weiterentwickelt und das wird er auch in den nächsten Jahrzehnten. Dafür wird das Daten-Tracking ein, aber nicht der einzige Treiber sein. Ich denke, dass sich die Spielertypen nicht großartig ändern werden, aber mittels Daten wird es einfacher werden, gezielt nach ihnen zu scouten. Wenn man in der Vergangenheit einen „spielstarken“ Stürmer gesucht hat, musste man dafür viele Scouts in die Welt rausschicken und Berichte anfertigen lassen. Heutzutage lassen sich mit den richtigen Daten und Systemen Spieler-Vorschläge innerhalb von Minuten ausgeben.
Bei der WM in Russland kommt auch der – in der Bundesliga umstrittene - Video-Assistent zum Einsatz. Wie bewerten Sie das?
Ich stehe dem Videobeweis grundsätzlich positiv gegenüber. Die diesjährigen Champions League Halbfinalspiele hätten mit dem Videobeweis wahrscheinlich andere Finalisten hervorgebracht. Solange der Einfluss des Schiedsrichters so groß ist, sollte man auch auf technische Hilfsmittel zurückgreifen. Natürlich müssen sich die Prozesse in der Umsetzung noch einspielen. Momentan fehlt mir noch die klare Linie, wann ein Video-Assistent eingreift und wann er dem leitenden Schiedsrichter die Entscheidung überlässt. Auch die Umsetzung in den Stadien ist bislang alles andere als zufriedenstellend, da die Zuschauer bei Video-Schiedsrichter-Entscheidungen nicht aufgeklärt werden.