Der US-Autobauer Tesla hat angekündigt, ein eigenes Markenradio als Musik- und Datenstreamingdienst starten zu wollen. Für wie attraktiv halten Sie solche individualisierten Angebote?
Sagen wir es so: für sehr attraktiv – wenn ich Tesla fahren würde. Denn dann hätte ich ja auch keine andere Wahl. Schließlich setzt Tesla ja konsequent auf eine Digitalisierung von möglichst vielen Features, um dem Fahrer nicht bloß mehr Touchscreen-Funktionalitäten oder ein Smartphone-Plug & Play zu bieten, das kann der Wettbewerb ebenfalls. Ein eigener Streamingdienst ist aber natürlich insofern clever, dass das Fahrzeug bzw. Tesla noch mehr über die Vorlieben seiner Kunden erfährt. Auf dieser Basis lässt sich wiederum individualisierte Werbung entwickeln: Hören Sie via „Tesla-Radio“ zum Beispiel besonders viel Jazz, werden Ihnen beim Online-Surfen oder Shopping vermutlich noch mehr aktuelle Jazz-Erscheinungen angeboten.
Die Idee an sich ist wirklich gut, aber in meinen Augen überhaupt nicht richtungsweisend für den Automobilmarkt. Rein technologisch könnte jeder OEM längst ein eigenes, streamingbasiertes Digitalradio anbieten, das ist kein Problem. Auch medienrechtliche Hürden wären in vielen Ländern gar kein Thema. Aber letztendlich entscheidet der Kunde, ob so ein Angebot für ihn spannend ist. Und einen Radio-Channel von BMW oder Mercedes braucht zumindest in Europa und den USA einfach niemand – die Auswahl der Sender ist reichhaltig genug und wer lieber Musik bzw. Radio aus der Cloud hört, kann das ohnehin schon per Smartphone-Plug & Play in fast allen Fahrzeugen der letzten Modelgenerationen fast aller Hersteller tun.
Wie schätzen Sie die Bedeutung webbasierter Radiodienste ein? Welche Entwicklung erwarten Sie künftig auf diesem Gebiet?
Bei webbasierten Radiodiensten gibt es mehrere Evolutionsstufen bzw. Entwicklungsfelder, die jeweils sehr dynamisch und spannend sind: erstens, das Format von Podcasts. Das ist längst nicht überholt, sondern gewinnt noch deutlich an Relevanz, etwa in den Bereichen berufliche Weiterbildung. Bislang haben einzelne Anbieter ihre Hörbücher, Reportagen, Interview-Features über die eigene Webseite oder Streaming-Dienste angeboten. Für die nahe Zukunft rechne ich mit immer mehr Formaten, die bestimmte Themen bündeln, also z.B. ein Webradio, das sich nur den neusten Trends und Tipps für Führungskräfte widmet.
Zweitens, ganz neue Formate wie die Streamingdienste von Spotify, Netflix und Amazon. Die werden sich nicht nur aufgrund der schieren Fülle ihres Angebotes, sondern auch mit der Funktion der Sprachsteuerung sicher als neue „Wunschmedien“ behaupten. „Alexa, heitere mich mit fröhlicher Musik auf“ ist nur der Anfang – in den Entwicklungsabteilungen dieser Anbieter gibt es bereits nächste Stufen mit AI-generierter Musik. Da „sieht“ die Software z.B. über die Kamera im Smartphone, im Auto oder im Fernseher meinen erschöpften Gesichtsausdruck und schaltet mir automatisch einen stimmungsvollen Song zu.
Die ersten Fahrzeuge des neuen Tesla-Massenmodells 3 verfügen über keinen terrestrischen Radioempfänger mehr (UKW/DAB+) sondern nur noch über webbasierte Empfangstechnologien. Trend oder Ausnahme? Das Ende des klassischen Radios im Auto?
Sicher nicht im Auto und sicher auch nicht an anderen Orten, an denen Menschen gerne Radio hören. Speziell in Deutschland ist das Radio ist auf Grund seiner Verbreitung und Geschichte ein Medium, dass nicht diskriminiert, also jedem jederzeit über viele Zugänge zur Verfügung steht. In jedem Haushalt sind dutzende UKW „0,99 € Empfänger“ vorhanden – so ein Küchenradio, wie ich es von meiner Oma geerbt habe, wird in Millionen Haushalten stehen. Warum soll der parallele Weiterbetrieb UKW/DVB+ also wirtschaftlich nicht sinnvoll sein? Die Technologie ist vorhanden, ausgereift und kann deshalb günstig weiter betrieben werden. Zumal es reichlich Nutzer gibt. Facebook würde auch nicht einfach sagen, „Hey, Du musst jetzt ein neues Handy kaufen, damit wir Dir Werbung zeigen können“. Es ist ein immer ein schwerer Fehler, die Regel „Don´t kill your customer touchpoint“ zu ignorieren.
Trotzdem findet der Technologiewechsel zum Digitalen statt – welche Konsequenzen hat das für die etablierten Medien?
Eine Medienkonvergenz entsteht – Jeremy Rifkins nennt das die „Null-Grenzkosten Gesellschaft“. Das heißt, die Digitalisierung könnte die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null senken. Die Mischung von AI (Alexa) und Mensch hebt also im Prinzip die Funktion von Radiosendern auf. Oder kurz gesagt: Jeder produziert in Zukunft Medien. Netflix entwickelt bereits Formate und Scripte für Serien anhand von Data Science Modellen, die aus den Nutzerdaten der Zielgruppe entstehen. Genau das ist dann auch hierzulande das große Risiko für den öffentlich/rechtlichen Rundfunk, dass er von ähnlich vorgehenden, webbasierten Anbietern mit individuellen Formaten und Inhalten in der Hörergunst ausgebootet wird. Speziell beim Thema Radio ist die Plattform hellointernet.fm ein gutes Beispiel, wohin die Entwicklung geht. Aber es gibt ebenfalls Beispiele dafür, dass Sender mit Innovationen richtig auf die Entwicklung der Streamingdienste reagieren – etwa die Sendung „Sanft und Sorgfältig“ von Jan Böhmermann auf Spotify. Es braucht also cross-mediale Formate, cross-Sender Kooperationen. Wenn Medien On-Demand werden, müssen Radiosender größere Formate im Angebot vorhalten. Modernes Radio ist im Idealfall eine Two-Speed Organisation hinsichtlich Innovation und Qualität, es ist dazu geradezu prädestiniert – die Kernkompetenz gutes Programm, d.h. Content zu liefern, ist eine zu tiefst innovative Aufgabe.
Vorreiter sein muss übrigens nicht heißen, funktionierende System zu ändern. Da gibt es einen guten Spruch aus der Hacker Culture, der auch für die „klassischen“ 1.0 Medien gilt: Never change a running system in deployment. D.h., wenn der Service verlässlich funktioniert, schau, wie Du neue Features dem User besser zugänglich machen kannst. Hack better results!