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Interview

Warum die Medienpädagogik völlig neu gedacht werden muss

Experte befürchtet Generation von Narzissten und Egoisten

Prof. Dr. Gerald Lembke - Präsident des Bundesverbandes Medien und Marketing (BVMM) Quelle: Pressefoto (BVMM) Uwe Schimunek Freier Journalist Meinungsbarometer.info 27.05.2015

Kinder sitzen viel zu früh und viel zu lange vor dem Bildschirm, sagt Prof. Dr. Gerhard Lembke. Der Medienexperte und Buchautor ("Die Lüge der digitalen Bildung") hält digitale Lernangebote für Kinder bis 12 Jahre „kategorisch für sinnlos“. Im Interview erklärt er, wann und wie Kinder mit Tablet und Smartphones umgehen lernen sollten.







In einer Ihrer Thesen beklagen Sie, dass die Digitalisierung der Bildung technologie- und ökonomiegetrieben sei. Haben die Pädagogen die Entwicklung verschlafen?
Nein, das war in der Vergangenheit schon immer so: Technologische Innovationen getrieben durch wenige intelligente Köpfe wurden im Laufe der Zeit häufig zu massentauglichen Anwendungen für die Menschen, denken wir nur an die Glühbirne, Eisenbahn oder den Computer. Gerade bei den Computern war und ist die technische Entwicklung derart schnell, innovativ und anwendungsorientiert (Smartphones), dass wir Menschen lernen müssen, damit umzugehen, und zwar nicht im Sinne der immer einfacheren Bedienung, sondern im Sinne einer zielgerichteten Nutzung für unseren Alltag. Im Besonderen müssen wir das Abschalten von Geräten neu lernen. Bei diesem Gedanken wird so manchem Mobilnutzer sicher gleich schwindelig werden …

Was müssten gute digitale Lernangebote besser machen?
Bei der Entwicklung von digitalen Lernangeboten muss die geistige Entwicklung des Lernenden berücksichtigt werden. Wir wissen, dass bei Kindern bis zum 12. Lebensjahr das Gehirn noch nicht soweit entwickelt ist, Digitale Medien und die vielfältigen Informationen zu verarbeiten. Darüber hinaus ist die Ablenkungsgefahr durch soziale Netzwerke und digitale Kommunikationsapps immens. Es mangelt darüber hinaus häufig an didaktischen Grundlagen der inhaltlichen Aufbereitung. Für Kinder bis zum 12. Lebensjahr halte ich digitale Lernangebote kategorisch für sinnlos. Klassische Lernmedien wie Tafel, Buch, Stift und Papier sind hinreichend, um die tatsächlich originären Fähigkeiten bei Kindern (Konzentrationsfähigkeit, Reflexionsfähigkeit und Kreativität) zu fördern. Das mediale Begießen mit digitalen Lernprogrammen ist in dieser Altersgruppe kontraproduktiv.

Im Ihrem Buch schreiben Sie: „wischen, tippen und klicken Kinder auf Tablets, schadet das ihrer Gehirnentwicklung.“ Ab welchem Alter empfehlen Sie den Kontakt mit digitalen Medien?
Ab dem 12. Lebensjahr sind Kinder in der Lage, Digitale Medien zielgerichteter einzusetzen. Die Konzentrations- und Reflexionsfähigkeiten sind deutlich ausgeprägt. Der Jugendliche sollte ab diesem Alter begleitet werden, die Medien für seine Lernziele fächerübergreifend zu nutzen. Hier braucht es Vorbilder von Lehrern und Eltern. Fehlen diese, wird auch in der Altersgruppe 12 bis 17 das Digitale zum Spielen und Daddeln missbraucht werden. Doch wie schön ist es für Eltern und Lehrer, ihre Schützlinge vor ein Tablet oder Computer zu setzen. Medienkompetenz lernen ist Erziehungssache. Das passiert nicht automatisch. Auto fahren muss auch angeleitet werden, gerade wegen der Risiken. Hier sehe ich bei beiden Betreuungsgruppen sehr häufig deutlich Defizite.

Kinder stehen unter enormem sozialen Druck. Was empfehlen Sie Eltern, wenn alle Freunde in der Kita zu viel mit dem Tablet spielen?
Es gibt nur eine Empfehlung: Sich nicht von der Masse mitziehen zu lassen. Das erfordert Energie und Durchsetzungsvermögen. Ist das Smartphone oder Tablet erstmal in der Tasche ihrer Kinder, werden Sie es dem Kind nur noch nach einer intensiven Auseinandersetzung wegnehmen können. Es soweit kommen zu lassen, ist meiner Ansicht nach falsch. Stattdessen dürfen und müssen meiner eigenen Erfahrung nach Kinder in die Auseinandersetzung mit Smartphones und Tablets früh zu Hause einbezogen werden. Wenn dazu die Eltern zu Hause nicht auch den halben Tag lang auf mobilen Endgeräten herum spielen, werden Kinder die Bedeutung der Endgeräte früh einschätzen können: Es muss die Wichtigkeit digitaler Endgeräte erläutert, besprochen und reflektiert werden. Wenn das passiert, müssen sich Eltern in den meisten Fällen keine Gedanken darüber machen, ihren Kindern später z. B. mit 13 den Strom abstellen zu müssen, um sie vom Daddeln und Dauer-Nachrichten-Posten wegzubekommen.

In Ihrem Buch schildern Sie drastisch die Folgen von übermäßiger Nutzung digitalen Medien im frühkindlichen Alter. Wächst eine Generation Verhaltensgestörter heran?
Das ist bei unbeschränktem Medienkonsum zu erwarten. Wir wissen, dass die Kinder heute bis zu sieben Stunden Bildschirmzeiten pro Tag absolvieren (TV + PC + Spielekonsole + Smartphone + Tablet). Es bleibt immer weniger Zeit für die Entwicklung von Empathie und kritischer Auseinandersetzung Gesicht zu Gesicht. Kommunikation verändert sich, und das nicht nur zum Guten. Ich erwarte eine Generation zunehmender Narzissten und Egoisten. 

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