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Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben

Warum die Logistikbranche keine Angst vor der Digitalisierung haben darf

Prof. Dr. Wolfgang Kersten, Institutsleiter, Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung Quelle: Technische Universität Hamburg Prof. Dr. Wolfgang Kersten Forscher Technische Universität Hamburg-Harburg 28.04.2017
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Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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Auf dem 33. österreichischen Logistikdialog in Wien kommentierte ein Teilnehmer das Thema Risiken der Digitalisierung so: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“. Das beschreibt die Situation in der Logistikbranche nach Einschätzung von Prof. Dr. Wolfgang Kersten von der TU Hamburg ganz gut. Denn die aktuelle Studie des Hamburger Forschers zeigt, das Abwarten in Bezug auf die Digitalisierung der Branche "sicher nicht die richtige Strategie ist".







Nach einer Untersuchung in der Logistikbranche will mehr als die Hälfte der Unternehmen mit eigenen, digitalen Projekten abwarten, bis erprobte Lösungen vorliegen. Ist das die richtige Strategie?
Drei Viertel der Unternehmen sehen hohe bis sehr hohe Chancen in der Digitalisierung. Insofern ist Abwarten sicher nicht die richtige Strategie, denn dann bleiben erhebliche Potenziale ungenutzt, zumal die Einstiegshürden in die Digitalisierung recht niedrig liegen. Unsere Studie hat gezeigt, dass im Rahmen der Digitalisierung zahlreiche neue Technologien für unterschiedliche Anwendungsbereiche verfügbar sind. Allerdings zeichnet sich kein einheitlicher Technologiepfad für alle Unternehmen ab. Dafür sind die Ausgangssituationen und die Rahmenbedingungen in den einzelnen Unternehmen und Branchen einfach zu unterschiedlich. Die Unternehmen sind deshalb gut beraten, sich individuell aktiv an die Digitalisierung heranzutasten. Denn es geht ja nicht nur um Technologien, sondern auch um Geschäftsprozesse, die umgestellt werden müssen sowie - ganz wichtig - um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf diesem Weg mitgenommen werden müssen. Ähnlich wie bei einem Kulturwandel im Unternehmen ist dies ein Prozess, der Zeit benötigt und sich deshalb über einen längeren Zeitraum erstreckt. Eine schnelle Umstellung auf Basis dann bereits bewährter Lösungen bleibt deshalb auch in Zukunft unrealistisch. Abwarten lohnt sich also nicht.

Ein Drittel der Befragten sieht in der Digitalisierung hohe oder sehr hohe Risiken. Ist die Branche zu ängstlich oder sind die Sorgen berechtigt?
Das ist eine interessante Frage, denn Risiken sind in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Allerdings habe ich vor kurzem die Ergebnisse unserer Studie auf dem 33. österreichischen Logistikdialog in Wien vorgestellt. Dort kommentierte ein Teilnehmer das Thema Risiken der Digitalisierung so: In Österreich sage man dazu „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“.
Das beschreibt die Situation ganz gut. Einerseits müssen die Unternehmen die Risiken der Digitalisierung wirklich ernst nehmen. Andererseits darf man die Entwicklung deshalb nicht vollständig ignorieren, da damit ebenfalls Risiken verbunden sind. Letztlich muss man die Risiken also genau analysieren und auch differenzieren. So ist einerseits die Datensicherheit auf der Liste der genannten Risiken ein sehr großes und berechtigtes Thema. Gerade mittelständischen Unternehmen muss man hier raten, Hilfe von externen Spezialisten in Anspruch zu nehmen, um mit der rasanten Entwicklung auf diesem Gebiet mithalten zu können.
Ein ganz anderes Thema sind allerdings die Risiken, die das eigene Geschäftsmodell betreffen. Hier wird nämlich befürchtet, dass durch die Digitalisierung andere Player die Chance erhalten, in das eigene Geschäftsfeld einzudringen, zum Beispiel über Plattformen. Dieses Risiko ist natürlich ebenfalls sehr relevant. Allerdings wird man es nicht dadurch bekämpfen können, dass man selbst nicht an der Digitalisierung teilnimmt und deren Chancen nicht nutzt. Denn dies ist die weitaus größere Gefahr, weil dann der Markt und die Entwicklung an diesem Unternehmen vorbeilaufen wird. Unsere Studie hat klar ergeben, dass mittelständische Unternehmen, die in der Digitalisierung nicht anschlussfähig sind, Gefahr laufen, über kurz oder lang aus den Wertschöpfungsketten herauszufallen. Sicherlich nicht gleich in den nächsten zwei Jahren. Aber mittelfristig wird der Druck auf Unternehmen, bei der Digitalisierung mitzumachen, enorm anwachsen. Und wie bereits gesagt, es wird nicht einfach sein, einen Rückstand kurzfristig aufzuholen.

Die Studie empfiehlt aufgrund der Geschwindigkeit der Digitalisierung Experimentieren und Nachjustieren. Inwieweit können sich - vor allem kleinere Player - das leisten?
Die Digitalisierung kommt auf jeden Fall auch den kleineren Unternehmen zu Gute, auch wenn sie experimentieren und nachjustieren müssen. Sicherlich haben große Unternehmen hier Vorteile, weil sie mehr Ressourcen zur Verfügung haben, um Neues auszuprobieren. Andererseits sind aber die Lösungen, die mit der Digitalisierung möglich sind, heute sehr viel besser skalierbar als traditionelle EDV-Lösungen. Insofern kommen auch kleinere Unternehmen ohne Weiteres in den Genuss der Vorteile von Digitalisierung. Selbst Handwerksbetriebe können sich heute einfach eine App programmieren bzw. aus einem Baukasten zusammenstellen lassen, die genau zu ihrem Geschäftsmodell passt.
Nachteilig ist sicherlich aber, dass das Lösungsangebot derzeit sehr unübersichtlich ist und sich sowohl die Technologien als auch die angebotenen Lösungen sehr schnell weiterentwickeln. Vorteilhaft für kleinere Unternehmen ist dabei, dass vielfach umfangreiche eigene Infrastrukturen nicht erst aufgebaut werden müssen. Dies erleichtert sowohl den Einstieg als auch einen ggf. später erforderlichen Wechsel. Experimentieren lässt sich also auch für kleinere Unternehmen sicherlich nicht ganz vermeiden. Aber die Vorteile liegen klar auf der Hand: es lassen sich Verbesserungen bei den eigenen Geschäftsprozessen und auch in der internen Kommunikation und Abstimmung erzielen, die für Kleinunternehmen vorher aufgrund der erforderlichen IT-Voraussetzungen nicht erreichbar waren.

Hohe Zuwächse erwartet die Untersuchung bei Big Data-Analysen. Welche Rahmenbedingungen braucht die Logistikbranche an dieser Stelle für die digitale Zukunft?
Big Data-Analysen haben sich in der Tat als ein in naher Zukunft besonders wichtiges Thema auch für die Logistikbranche herausgestellt. Wichtig ist hier einerseits die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären, wem welche Daten gehören und in welcher Form diese Daten genutzt werden dürfen. Denn viele Daten entstehen an der Schnittstelle zum Kunden oder zu Partnern in der Wertschöpfungskette. Hier sind eindeutige Vereinbarungen zwischen allen Beteiligten erforderlich.
Ein viel größeres Problem scheint mir aber die mangelnde Verfügbarkeit entsprechender Spezialisten zu sein. In allen Branchen und Bereichen wird derzeit ein großer Bedarf an Spezialisten für „Data Analytics“ signalisiert. Es ist nicht erkennbar, dass im erforderlichen Umfang kurzfristig entsprechend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Absolventinnen und Absolventen der Hochschulen zur Verfügung stehen werden. Es zeichnet sich deshalb hier bereits ab, dass etablierte und neue Anbieter in diesen Markt hineingehen und Datenanalysen als Dienstleistung anbieten. Dies setzt allerdings viel Vertrauen zwischen den beteiligten Partnern voraus. Auch die nahtlose Integration in die Geschäftsprozesse muss gewährleistet sein. Aber es macht Data Analytics eben auch für kleine und mittelständische Unternehmen erreichbar.

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